Könige der Alpen

Die uralpine Demokratie Schweiz hat ein Problem, wie wir wissen: keinen König, kein Glamour, kein Futter für die Regenbogenpresse, keine Krönungsfeiern am Fernsehen. Doch wie wir aus dem hier besprochenen Werk erfahren, haben wir dafür anderthalbtausend Könige und auch noch ein paar Königinnen dazu. Zudem sind die Alpen höher als jeder Thron. Wenn das kein Trost ist!

Mit Joseph Imseng ist gut wandern,
versteht das Klettern wie kaum ein anderer,
in schwindelnder Höh, an glatter Wand
diese Wildkatze hält doch immer Stand!

Sein scharfer Sinn
zieht manchen nach den Bergen hien –
Eine Freude ist’s ihm zuzuschauen;
auch hat man stets sofort Vertrauen!

Dieses leicht stolprige Gedicht schrieb Jules Rindlisbacher aus Bern ins Führerbuch von Josef Imseng (1893-1975). Anzunehmen ist, dass der Führer in den Bergen sicherer auftrat als der Geführte in dessen Buch… Aber auch schreiben konnte Imseng, wie man in den „Alpen“, der Zeitschrift des Schweizer Alpen-Clubs, von 1938 nachlesen kann. Bergführer, die neben dem Pickel zum Stift griffen (und greifen), sind nicht grad an einer Hand abzuzählen, aber doch eher selten. Der Führer führt(e) am Berg, der Geführte im Tal, beim Eintrag ins Führer- und Fremdenbuch, beim Niederschreiben des oben Erlebten. Eine der Ausnahmen war eben Josef Imseng, Berg- und Skiführer sowie Coiffeur und Sportwarenhändler, aufgewachsen in Saas-Fee, später wohnhaft in Brig, verwandt mit Johann Josef Imseng, dem Kilchherr von Saas, und mit Bergführer Ferdinand Imseng, Erstdurchsteiger der Monte-Rosa-Ostwand.

Einige Bücher von Bergführern sind gut bekannt, allen voran natürlich die Werke von Anderl Heckmair und Gaston Rébuffat, oder in der Schweiz von Christian Klucker, dessen „Erinnerungen“ vor drei Jahren in einer vorzüglichen Neuauflage herausgekommen sind. Bücher über Bergführer gibt es auch einige, wie beispielsweise Carl Eggers „Pioniere der Alpen. 30 Lebensbilder der grossen Schweizer Bergführer von Melchior Anderegg bis Franz Lochmatter“. Nun ist aber ein Werk erschienen, das sich wissenschaftlich mit der Geschichte und dem Beruf der Bergführer beschäftigt. Sein Hauptitel „Könige der Alpen“ spielt auf die ebenfalls wieder aufgelegte Romanbiografie „König der Bergführer“ über den berühmten Alexander Burgener an, der – nur nebenbei gesagt – in den Unfalltod von Kilchherr Imseng verwickelt gewesen sein soll.

Die „Könige der Alpen“: Die Soziologin Andrea Hungerbühler aus Bern holt in ihrer weit- und breitgefächerten Dissertation den Bergführer nicht vom Thron, sondern zeigt, wie er zu Beginn des 20. Jahrhunderts als prototypischer und idealer Schweizer Mann konstruiert wurde, nachdem er im 19. Jahrhundert teilweise noch als „Ignorant“ verschrien worden war. Das Buch erörtert aber auch berufliche Selbstverständnisse heutiger Bergführerinnen und Bergführer. Da wird (alpine) Geschlechtergeschichte geschrieben, und in derjenigen des Alpinismus werden neue Seiten aufgeschlagen. Klar, der Roman „Bergführer Melchior“ von Johannes Jegerlehner liest sich lockerer, doch gerade das Kapitel „Schweizer Bergführer in der alpinen Literatur“ kann gut auf der Hüttenbank studiert werden, denn da ist vom „Blick zum Gipfel“, von „ängstlichen Müttern und verliebten Damen“ die Rede. Anders gesagt: Sind Frauen am Berg „Störfaktor oder Bereicherung?“ Andrea Hungerbühler gibt auch hierzu eine Antwort mit ihren Quellen und Interviewpartnern. Als Einstieg in ihre Arbeit wählte sie mutig die Präambel der Statuten des Bergführervereins Uri von 1916, die aus einem Gedicht mit vier Strophen besteht – Ausschnitt aus der dritten:

Und ob Gefahr auch manchmal droht:
Wir trotzen kühn dem weissen Tod!
Wir bauen auf unsere Manneskraft
Die nie erlahmt und nie erschlafft.

Andrea Hungerbühler: „Könige der Alpen“. Zur Kultur des Bergführerberufs. transcript Verlag, Bielefeld 2013, Fr. 59.90.

Buchvernissage: Freitag, 10. Mai 2013, um 18.30 Uhr im Alpinen Museum der Schweiz in Bern. Es sprechen Rhea Matter, Bergführeraspirantin; Claudia Honegger, Soziologin; Lea Bähler, Mitarbeiterin ALPS, sowie die Autorin Andrea Hungerbühler. Anschliessend Apéro im Restaurant las alps.

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