Der 1. März ist auf der Nordhalbkugel der meteorologische Frühlingsbeginn. Auf in die Sonnenstube der Schweiz! Denn dort scheint auch heute die Sonne, während es auf der Alpennordseite regnet.
„Und wie schön diese Landschaft ist! In weitem Umkreise hohe dunkelgrüne Bergzüge, lange sanftgewellte, hie und da langsam abfallende Höhenflächen, manchmal unterbrochen von vulkanartig sich zuspitzenden Kegeln. Und wo der See im Winkel umbiegt tiefer nach Italien hinein, da schiebt sich eine neue stillmächtige Wand vor den Blick und vollendet die Umschliessung. Nördlich aber, über Locarno recken sich die schneestrahlenden Zacken der Alpen riesig in die Höhe; – ein wunderbarer Kontrast zu der friedlichen Bergkette im Osten, Westen und Süden.
Hellgrün ist die Farbe des Sees, seltener bläulich, nur wenn es stürmt und starke Wogen dröhnend ans Ufer schlagen, dann bäumt sich das Wasser in dunkelgrünen, gischtspritzenden Brandungen. Nirgends habe ich einen See so als Höhensee emfpunden wie den Lago Maggiore.“
So sah der deutsche Dichter und Anarchist Erich Mühsam den Lago Maggiore, diesen knapp 64 Kilometer langen See zwischen dem Tessin, der Lombardei und dem Piemont. Im Jahre 1904 ist Mühsam erstmals über die Flaniermeile von Ascona geschlendert und hat auf dem Monte Verità weiter oben gehaust, auf diesem wahrscheinlich berühmtesten Hügel am See, wo sich ab 1900 Lebensreformer, Pazifisten, Künstler, Autoren und Anhänger unterschiedlicher alternativer Bewegungen wochen- bis jahrelang trafen. 1905 erschien Mühsams Text „Ascona“, aus dem das Zitat stammt. Er ist auch abgedruckt im hübschen Buch „Ascona und Wiedersehen mit Ascona“ aus dem Sanssouci Verlag (1979). Mit Erich Mühsam (und Hermann Hesse) wandert Beat Hächler seinerseits über den Berg der Wahrheit in dem von ihm herausgegebenen Klassiker „Das Klappern der Zoccoli. Literarische Wanderungen im Tessin“, nun in der fünften Auflage vorliegend. Auf Fotos sehen wir den nackten Erich beim Baden und den Hermann beim Ziegenhüten. Weitere literarische Touren am und über dem Lago Maggiore folgen Ursula von Wiese, Lisa Tetzner, Friedrich Glauser und vielen andern Schriftstellern.
Nun widmet sich die Nummer 45 von „Quarto“, der Zeitschrift des Schweizerischen Literaturarchivs, dem Lago Maggiore. Neun deutsche und zwei italienische Textkapitel erforschen seine „literarische Topografie“, anregend unterbrochen von drei Fotostrecken mit alten und neuen Ansichten. Barbara Piatti unternimmt literaturgeografische Streifzüge von Goethe über Hemingway und Tetzner bis zur Road Novel „Töchter“ von Lucy Fricke aus dem Jahre 2018. Christa Baumberger geht mit Glauser auf Wahrheitssuche, Lucas Marco Gisi analysiert „Woly – Sommer im Süden“ von Hans Morgenthaler, der mit seinem Erstlingswerk „Ihr Berge“ die Bergliteratur um ganz starke Seiten bereichert hat. Und Annetta Ganzoni stellt „La stanza del Vescovo“ von Piero Chiara vor; im Deutschen heisst der frivole Segler-, Liebes- und Kriminalroman „Das Zimmer in der Villa Cleofe“, als Film von Dino Risi „Das rote Zimmer“. Ein kurzer Ausschnitt aus diesem ganz besonderen Roman des Lago Maggiore:
„Ich segle auf dem See herum, den Winden nach. Am Abend lege ich in einem der kleinen Häfen an, vertrete mir ein biβchen die Füβe, esse in irgendeiner Osteria, und dann gehe ich aufs Boot zurück und lege mich unter Deck schlafen, oder, wenn es warm ist, auch auf Deck, unter die Segelplane.“
Beat Hächler: Das Klappern der Zoccoli. Literarische Wanderungen im Tessin. Rotpunktverlag, Zürich 2000 bzw. 2007, Fr. 38.-
Lago Maggiore. Literarische Topografie eines Sees/Topografia letteraria di un lago. Quarto n° 15, 2018, Fr. 15.- Erhältlich bei der Schweizerischen Nationalbibliothek in Bern und im Buchhandel.