Selbst dann, wenn die gute Laune auf Sparflamme schwelt, gibt es ein Rezept: raus in die Natur. Besonders bei einem Wetter, das die Goldmedaille verdient. © Annette Frommherz
Das böse Wetter hatte mir nebst Energielosigkeit eine besonders üble Laune besorgt. Nichts wollte gelingen, alles war zu wenig oder zu viel, und überhaupt schien die ganze Welt gegen mich zu sein. Winterblues? Nachdem ich zwei volle Tage Trübsal geblasen hatte, beschloss ich, dem ein Ende zu bereiten.
Still lag der Wägitalersee vor uns und harrte der Dinge, die da kommen sollten. Der Frühling vielleicht? Ich sehnte mich danach, keine Frage. Aber der Prachtstag verleitete uns dazu, den Winter nochmals voll aufzusaugen. Endlich, war versprochen worden, sollte sich das Wetter versöhnlich zeigen, nachdem es lange genug weite Teile Europas seine garstigste Seite gezeigt hatte. Die Schneeverhältnisse in der Innerschweiz boten sich so sensationell an wie ganz selten anfangs April: traumhafter Tiefschnee, mässige Lawinengefahr und eine Sonne, die sich nicht zierte.
Meine neueste Errungenschaft – massgeformte Skischuhe – trug ich stolz zur Schau für jeden, der mich überholte. Im Wald hingen tiefverschneite Äste, denen es auszuweichen galt, bevor sie uns den Nacken mit pulvrigem Weiss kühlten. Für die steilen Stellen zwischen den Bäumen hatte ich in weiser Voraussicht die Harscheisen montiert (ok, es war mein Liebster, der sie montiert hatte, weil es dafür einen zielgerichteten Schlag und deshalb etwas mehr Kraft benötigt).
Nachdem wir den Wald hinter und unter uns gelassen hatten, drehten wir uns um zum Nebelmeer und dachten etwas mitleidig an jene, welche in Pantoffeln vor dem Fernseher sassen und keinen Blick zum Fenster hinaus wagten. Uns bot sich ein Bild, wie ich es mir immer vorgestellt hatte, wenn ich in den Märchen gelesen hatte, die von funkelnden Diamanten erzählten und von Frau Holle, die tags zuvor die Kissen geschüttelt hatte. Es war mir, als wolle die Natur sich für die vielen Tage entschuldigen, an denen sie uns prächtiges Wetter vorenthalten hatte.
Mit unseren Skistöcken testeten wir die Schneedecke. Luftig rieselte das Weiss. Wir liessen uns Zeit für den Aufstieg, der uns über sanfte Hügel führte. Vor jedem glaubte ich zu wissen, dahinter verstecke sich bereits der Gipfel. Wir waren nicht die einzigen mit dem Ziel Redertengrat, fürwahr, aber wir gönnten es jedem. Oben suchte ich vergeblich nach dem Gipfelkreuz und hätte deswegen beinahe den Gipfelkuss vergessen. Die Ostereier würden sich hier gut verstecken lassen, dachte ich noch, während mein Liebster schon welche aus Schnee formte. Damit tütschten wir, im Hintergrund sah uns das Vreneli aus dem Garten zu, und weiter hinten thronte der Tödi, der Gute, und tat nichts dergleichen. Noch kurz ein Winken Richtung Clariden und Teufelsjoch, das sich an uns zu erinnern schien, und bald sah man uns die Skier schnallen. Ich staunte nicht schlecht, wie leicht es sich im tiefen Schnee nach unten segeln liess. Mein Liebster übte sich in Nachsicht und lächelte milde, wenn er warten musste oder meine Bogen nicht so eng wie seine wurden.
Die üble Laune war mit einem Male Lichtjahre von uns entfernt, ja nicht einmal mehr in meinem Vokabular vorhanden. Ich hatte sie verloren, irgendwo zwischen Wägitalersee und Rinderweid.