Napoleons Karten der Schweiz

Napoleon brachte nicht nur Freiheit, Gleichheit, das Metermass und Kriegselend in die Schweiz, sondern auch die kartografische Moderne. Schliesslich mussten seine Generäle den Weg durch unsere Gebirgstäler finden.

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Die trigonometrische Überwindung der Schweizer Alpen bedeutete vor etwa 200 Jahren eine grosse Herausforderung für die Wissenschaft, wie der Berner Professor Friedrich Trechsel in seiner 1823 veröffentlichten Schrift Nachricht von der in den Jahren 1821 und 1822 in Bern errichteten Sternwarte vermerkte: «Eine direkte Dreyeck-Verbindung über diesen Gebirgswall hinüber von Bern nach Mayland, ähnlich derjenigen zwischen Straßburg und Bern, ist im Jahr 1812, nicht ohne Aussicht auf Erfolg, versucht worden, und ist gegenwärtig neuerdings zur Sprache gebracht, bey Anlaß der Verbindung der Triangulationen in Deutschland, in Frankreich, der Schweiz und Italien. Die piemontesischen Alpen sind noch in letztem Sommer wissenschaftlich überschritten worden. – Eine zusammenhängende Dreyeck-Kette geht von Bordeaux bis Fiume in Istrien! Der Norden mit dem Süden, Straßburg mit Mayland ist noch nicht verbunden. Ein solcher Uebergang über unser Hochgebirg wäre ein Triumph für die Wissenschaft, und endlich vielleicht wieder etwas, das unserer Zeit Ehre brächte. Die Geometer der verschiedenen Nationen bieten sich gern, und freundlich und mit Vortheil für die Wahrheit aus weiter Ferne – über Berg und Thal herüber – die Hände. Der Sixmadun, der Titlis u.s.w. wurden schon im Jahr 1812 zu Stationen dieses Uebergangs nach der Lombardey ausersehen. Unser Finsteraarhorn ist auf dem Straßburger Münster beobachtet worden, und auf dem Dome zu Mayland. Es steht und glänzt wie ein hoher, gewaltiger Leuchtturm zwischen der Welt des europäischen Südens und Nordens!»

Ein schönes Bild, das Friedrich Trechsel, Professor der Mathematik an der Akademie zu Bern, hier braucht: das Finsteraarhorn als Leuchtturm. So ein Vergleich konnte nur einem Berner einfallen, welcher den höchsten Berg der Berner Alpen in der Abendsonne leuchten sieht: eine einsame, weisse, hohe und schmale Spitze links vom düsteren, mächtigen Eiger. Was aus obigem Zitat Trechsels allerdings nicht hervorgeht, ist die Tatsache, dass dieser Versuch der trigonometrichen Alpenüberwindung nicht von den Schweizern, sondern von den Franzosen stammt.

Mehr zur Vermessung des Finsteraarhorns, der Kantons Bern, der Alpen im Allgemeinen, ja der Schweiz und Europa überhaupt findet sich in einem 352seitigen, reich illustrierten Buch, dass dieser Tage auf den Markt kommt und das auf den ersten Blick nicht viel mit der Bergwelt zu tun hat: „Napoleons Karten der Schweiz. Landesvermessung als Machtfaktor 1798–1815“. Autor ist der in Bern lebende Baselbieter Martin Rickenbacher, ein diplomierter Kulturingenieur ETH Zürich, der an der Philosophisch-Historischen Fakultät der Universität Basel promoviert hat und beim Bundesamt für Landestopografie swisstopo in Bern als wissenschaftlicher Mitarbeiter arbeitet und daneben auch die Arbeitsgruppe für Kartengeschichte der Schweizerischen Gesellschaft für Kartografie leitet. Ein ausgewiesener Spezialist also, wie der von ihm zitierte Friedrich Trechsel.

Rickenbachers Buch beleuchtet ein bedeutsames Kapitel in der Geschichte der Schweizer Kartografie aus ungewohnter Perspektive: Er hat jene Karten in französischen Archiven aufgespürt und erforscht, die Napoleons Ingenieure im Auftrag ihres machtbessenen Chefs schufen. Die Resultate vermitteln eine neue Sicht auf die Anfänge der schweizerischen Landesvermessung: Die kartografische Moderne hat unser Land ganz klar von Westen her erreicht. Anders gesagt: Das wunderschöne Blatt „Finsteraarhorn“ der Landeskarte der Schweiz im Massstab 1: 25‘000 hat sozusagen französische Wurzeln.

Dabei werden nicht nur erstmals Napoleons Karten der Schweiz umfassend untersucht, sondern auch in Zusammenhang mit der ganzen  Kartengeschichte jener Zeit gesetzt: So wird die berühmte Scheuchzer-Karte ebenso kritisch begutachtet wie Pfyffers Relief der Urschweiz oder der Atlas Suisse von Meyer/Weiss/Müller. Und all das hat eminent viel mit den Bergen zu tun, denn sie dienen ja als Leuchttürme bei den Dreiecksmessungen. Von der Nordseite wie auch von der Südseite her…

Martin Rickenbacher: Napoleons Karten der Schweiz. Landesvermessung als Machtfaktor 1798–1815, hier + jetzt Verlag, Baden 2011, Fr. 78.-

Zwei Buchvernissagen mit sehr interessanten Vorträgen finden statt:

Dienstag, 6. September 2011, 18.30 Uhr im Forum Schlossplatz, Haus zum Schlossgarten, Laurenzenvorstadt 3, Aarau: „Aarau – Vermessungshauptstadt der Helvetik?“ von Martin Rickenbacher; „Von Napoleons Karten zu den Topografien der Nation, von Daniel Speich, SNF-Förderprofessor an der Universität Luzern.

Donnerstag, 8. September 2011, 18.30 Uhr im Schweizerische Alpinen Museum, Helvetiaplatz 4, Bern: „Die französischen Ingenieur-Geografen in den Schweizer Alpen“ von Rickenbacher; „Was bedeuten Karten für einen General?“ von Arthur Liener, Generalstabschef 1993-1997.

Anschliessend an beide Veranstaltungen gibt es jeweils einen Aperitif. Weitere Infos unter www.kartengeschichte.ch

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