Am Pfingstmontag vor sechzig Jahren kletterte ich zum ersten Mal am Seil auf einen Berg: den Altmann im Alpstein. Ein kleines Gedenken in Dankbarkeit.
Richtige Bergschuhe besass ich noch nicht, Vaters alte Militärschuhe trug ich wohl, einen kleinen braunen Rucksack. Angst plagte mich bestimmt, wie ich da mit der JO des SAC Bachtel zur Chraialp hinaufwanderte, zum Pfingstkletterkurs im Alpstein. Schlaflos lag ich im Heu. Keine Ahnung vom Klettern, keine Ahnung, ob ich schwindelfrei sein würde. Abseilen im Dülfersitz hatte ich in der Pfadi gelernt, auch ein paar Knoten. Spierenstich, Führerknoten. Die Könner der Gruppe redeten von Spreizschritten, Verschneidungen, Piazzen. Fremdwörter für mich. Sie nahmen sich am Pfingstsonntag den Westgrat vor, die weniger Erfahrenen den Ostgrat des Altmann. Wir Anfänger übten an einem kleinen Kalkwändchen Dreipunkttechnik zum Klettern im Fels, Hände auf Augenhöhe!, Schultersicherung, Selbstsicherung an Felszacken. Aha! So geht das also! Ist ja gar nicht so schwer. Ich weiss nicht mehr, ob uns Walter Z., der IO-Leiter selber anleitete oder sein Stellvertreter Hannes K. Einer der beiden führte uns am Pfingstmontag, dem 18. Mai, durchs Schaffhauserkamin auf den Altmann, meinen ersten Klettergipfel. Im Kamin gab’s einen kleinen Zwischenfall. Die oberste Seilschaft löste einen Felsblock aus, der krachte zwischen uns durch in die Tiefe. Schwefelgeruch. Schwein gehabt. Auch das gehört zum Klettern, lernte ich.
Luftiges Stück auf dem Ostgrat, der Gipfel, Händeschütteln, Abstieg über speckige Kalkplatten und über Schneefelder. Ich hatte klettern gelernt, hatte heisse Hände und ein heisses Herz. Glück!
Der Altmann hat auch später eine Rolle gespielt in meinem Leben, erste Alleingänge über West- und Ostgrat, mit Lob des berühmten Bergführers Paul Etter auf dem Gipfel, erste Tour mit einer Freundin, erste Klettertour meiner späteren Ehepartnerin. Schöne Erinnerungen.
Weniger schön meine zweite Klettertour sieben Wochen später, Guppenwand am Vrenelisgärtli. Es war der 5. Juli, ein wolkenloser Tag. Weil ich im Kletterkurs war, durfte ich einer Seilschaft vorsteigen. Die Guppenwand ist ja nicht schwer, aber der Fels locker. Ein paar Meter über mir brach dem Tourenleiter Hannes K. ein Block aus, zerschlug das Hanfseil, er stürzte hundert Meter ab, starb nach zwei Monaten an schweren Verletzungen. Andere hätten vielleicht aufgehört mit klettern, aber mich hatte die Leidenschaft schon fest im Griff. Sie hat mich nie losgelassen.
Bin selber oft gestürzt, die Sicherungen und Sichernden haben gehalten, gelegentlich landete ich beim Arzt und einmal im Spital, habe Lawinen ausgelöst, wurde aber nie verschüttet, stand im schweren Steinschlag, doch der Felsblock tötete einen andern Menschen. Ich habe Glück gehabt – bis heute – blicke dankbar zurück, erinnere mich an Tausende von Stunden im Fels, kann mir ein Leben ohne den Kalk, den Granit, den Sandstein nicht vorstellen. Am 18. Mai werde ich klettern – so das Schicksal es mir erlaubt.