Es gibt Orte auf der Welt, wo sich die Gleichheit unter den Menschen nicht durch ein politisches Programm sondern den biologischen Drang ergibt. Dass gleich aber nicht immer gleich bedeutet, führt uns Marco Volken in diesem Buch in überraschenden und überzeugenden Bildern vor. Wenn der Rezensent dabei von Nah- und Fernaufnahmen spricht, soll das bitte nicht missverstanden werden. Nur schade, hat es der Verlag verpasst, auch die Düfte mitzudrucken – was heute technisch durchaus machbar wäre.
„Die Bilder in diesem Buch riechen nicht. Aber ihr Gegenstand erinnert uns unweigerlich an den Gestank, der uns manchmal entgegenkam wie ein Gruss, wenn wir eine Berghütte erreichten, ungeachtet der erschütternden Schönheit ihrer Lage. Leuchtende Gipfelflanken und übelriechende Latrinen: Wie oft hat uns eine seltsame, überraschende Verunsicherung beschlichen, ist ein Schatten über unser Gesicht gehuscht. Wir kamen beim Refuge d’Argentière an und spürten im Rücken die ungestüme Kraft der Aiguille Verte, der Droites, der Courtes, witterten im gleichen Atemzug aber auch einen unverwechselbaren Geruch, wie er sich zusammen mit dem Schmelzwasser über den Gletscher ausbreitete.“
Pfui! Aber wir müssen, das ist halt so. Wo wir es tun, eigentlich auch. Ein stiller Ort ist es, wenigstens für uns. Hoffentlich abgeschirmt von fremden Blicken. In gekennzeichneten Räumen in Gebäuden. Oder auch in extra dafür aufgestellten Gebäuden. Und genau diese speziellen Orte fotografiert Marco Volken seit Jahren. Jetzt hat er mit seinen schönsten, schrägsten, abgelegensten, überraschendsten und erfrischendsten helvetischen Toilettenhäuschen einen Bildband gemacht. Erminio Ferrari hat das Vorwort geschrieben, dessen Einstieg hier zitiert ist.
Dreilagig genial: Idee, Locations und Fotos! Eine Sammlung noch nie gesehener, nie entdeckter, nie fotografierter, aber immer und innig besuchter Orte. Die Schweiz sozusagen neu erhockt. Eine überzeugende Mischung von Nah- und Fernaufnahmen. Und ein Architekturführer der ganz besonderen Art, viersprachig zu einem Geschäft. Bei manchen Lokalitäten möchte man freilich nicht müssen. Aber wir müssen sie ja auch nur anschauen.
Etwas plumps könnte man sagen: Eine bessere WC-Lektüre gibt es nicht. Und heute Donnerstag gibt es kein passenderes Buch: Der 19. November ist nämlich der Welttoilettentag. Alles weitere dazu auf de.wikipedia.org/wiki/Welttoilettentag
Kurz: Toi toi für diese stillen Orte!
Marco Volken: Stille Orte – Eine andere Reise durch die Schweiz. AS Verlag, Zürich 2015. Fr. 48.-