Tatort Berg

Sechs Krimis mit Alpenbezug und ein wissenschaftlicher Band zu Tatorten. Für Spannung ist gesorgt. Glühwein und Grittibänz muss man selbst besorgen.

«Ich habe mit Schleiβheimer telefoniert, er ist unterwegs auf einer Bergtour.»
«Was?», rief Jennerwein entgeistert. «Auf einer Bergtour.»

Tja, das gibt es. Nicht nur in Realität, sondern auch im Roman. Nur: Chefarzt Schleiβheimer hat einen ungünstigen Moment gewählt, um auf einer Bergtour den Kopf freizubekommen. Denn er wird gebraucht in einem vierfachen Mordfall. Als Zeuge. Vielleicht auch als Täter? Aber nicht doch der Herr Doktor! Allerdings: Er ist Mitglied eines exklusiven Hobby-Kochclubs. Und gleich vier Mitglieder kamen im Gourmet-Restaurant „Hubschmidt’s“ bei den Vorbereitungen für ein mehrgängiges Diner ums Leben, darunter Staatsanwältin Antonia Beissle, mit der Kommissar Hubertus Jennerwein vor Jahren mal Tisch und wohl auch Bett geteilt hat. Die überlebenden Clubmitglieder sind natürlich verdächtig. Der Pilzexperte Schlatt ebenfalls, der zufällig am Tatort vorbei schlich, auf der Suche nach einem Schleimigen Wüstling oder einem andern essbaren Pilz. Im dreizehnten Alpenkrimi von Jörg Maurer mit dem giftigen Titel „Den letzten Gang serviert der Tod“ entdecken Jennerwein und sein Team eine Suppenschüssel voller Mordmotive. Ein Lesevergnügen vom Amusebouche bis zum letzten Biss, zusätzlich abgeschmeckt mit Einträgen auf dem Bewertungsportal schmackofatz.de. Fünf von fünf Sternen.

«Während Capaul einparkte, stieg gerade die Sonne über den Piz Rosatsch. Wie er sich so schwer und formlos über die makellose Ebene erhob, erinnerte er an einem beim Stürzen in sich zusammengefallenen und mit zu viel Puderzucker kaschierten Pudding.»

Appetitlich, wie Gian Maria Calonder alias Tim Krohn Krimis den gegenüber St. Moritz liegenden Rosatsch in „Engadiner Bescherung“ beschreibt! Der vierte Band seiner Serie um den tollpatschigen Polizisten Massimo Capaul spielt an den Weihnachtstagen, und da geht es im Nobelkurort bekanntlich ziemlich saftig und süffig zu und her. Capaul tritt natürlich ins Fettnäpfchen, wie er eine alte Dame bei einem Ladendiebstahl in einer Nobelboutique verhaften will. Und als dann noch ein kleines Mädchen auftaucht, das behauptet, seine Tochter zu sein, müsste Capaul auf einer Bergtour definitiv den Kopf lüften. Aber dazu hat er weder Zeit noch Kraft. Zudem wartet der Täter nicht am Rosatsch, sondern unterm Weihnachtsbaum. Aber wird ihn Capaul überhaupt verhaften, vor lauter Essen und Trinken? Vier von fünf Sternen.

«Inmitten der Berge bist du zu Hause, das fühlt man.» Nadia, die wie Giulia eine Sonnenbrille trug, liess den Blick zurück übers Panorama schweifen.
«Ja, das ist so. Die Berge, sie haben ja so unterschiedliche Gesichter und sind dennoch so unbeständig beständig, wie es nur Berge sein können.»

Und was sind dann die Menschen? Beständig unbeständig? Genau das muss die Churer Kriminalpolizistin Giulia di Medici in ihrem vierten Fall feststellen, und zwar auf einer sonnigen Alp im Val Schons, wo drei junge Berlinerinnen einen Sommer lang sennen wollen. Aber die Tage sind lang, die Nächte dunkel, und wenn es wettert, wittert der Mörder eine günstige Gelegenheit. Auf der Alp, da ist kei Sünd – von wegen. Im „Bündner Alptraum“ von Philipp Gurt vergeht einem die Lust aufs sommerliche Käsen und auf ein Hüttenznacht erst recht. Aber man kann diesen Krimi ja auch zu Hause in der eigenen Stube lesen, mit einem Schüsseli voll Weihnachtsguetzlis und einem Glas selbstgewärmten Glühweins. Drei von fünf Sternen.

«Entlang der Baumreihe kommt sie dem Gaisberg-Gipfel näher. Sie wählt den rot markierten Gipfelweg. Erst auf dem Gipfelplateau hält Mitzi an.
Ihr Herz trommelt, in ihren Ohren saust es.
Aber es geht ihr besser. Viel besser.
Ihr Magen knurrt, und sie verspürt Durst. Lust auf eine Süβigkeit hat sie. Sie hätte die Marillenschnitte einpacken sollen.»

Genau, das ist’s. Eine Gipfeltour verschafft Besserung und Appetit. Nur was ist, wenn der Mörder ebenfalls Gipfellust verspürte? Auf dem Gaisberg hat Mitzi noch Glück, auf dem Welterbesteig Wachau, offenbar einem der schönsten Weitwanderwege Österreichs, nimmer. Isabella Archan nimmt uns in „Wenn die Alpen Trauer tragen“ mit auf eine halbwegs rasante Verbrecherjagd durch unser östliches Nachbarsland. Der erste Krimi um Mitzi und ihre Freundin, Inspektorin Agnes Kirschnagel, hiess „Die Alpen sehen und sterben“, der dritte, der im schönen Mai herauskommen soll, wird mit „Drei Morde für die MörderMitzi“ angekündigt. Und: Geschichten von Archan finden sich in den Weihnachtskrimis-Sammelbänden „Tödliche Zimsterne“ und „Tödlicher Glühwein“. Zwei von fünf Sternen.

«Ich beeilte mich, vor dem Eindunkeln das Dorf zu erreichen. Der Weg tauchte in den Wald ein. Der Abstieg wurde so steil, schroff und rutschig, dass die Berner Wanderfreunde eine Treppe mit Holzträmeln angelegt hatten.»

Das ist meistens so auf einer Bergtour: Nach dem Aufstieg und dem Gipfelblick folgt der Abstieg, oftmals der heikelste Teil. Das weiss der Emmentaler Privatdetektiv Alexander Bergmann natürlich. In seinem jüngsten Fall, den Gabriel Anwander in „Schrattenfluh“ aufrollt, ist es nicht viel anders. Das Nachgehen verschiedener Fährten gleicht dem Aufstieg, das Auswerten der Spuren der Überschau auf dem Gipfel. Beim Abstieg jedoch, wenn der oder die Mörder gefasst werden sollen, da kann man gehörig bis lebensgefährlich ausschlipfen. Oder in eine Felsspalte fallen, wofür ja die Schrattenfluh bekannt ist. Südlich und nördlich dieses löchrigen Felsmassivs fliessen Emme und Ilfis, und ihnen entlang wandert der Detektiv, auf der Suche nach den Tätern, die gezielt das Trinkwasser vergiften wollen und vor Mord nicht zurückschrecken. Da läuft einem beim Lesen nicht das Wasser im Mund zusammen, sondern vielmehr der Angstschweiss über den Rücken. Vier von fünf Sternen.

«Plötzlich geht ein heftiger Ruck durch das Seil, und im nächsten Augenblick sehe ich, wie Luke sich vom Felsen löst und fällt. Fällt. Das geht so schnell, das meine Arme und Beine gegen die Wand geschmettert werden. Theo schafft es, sein Seilende um einen Baum zu schlingen, der gerade auf seiner Höhe aus der Felswand wächst.»

Tja, das scheint es zu geben. Einen Baum in einer Felswand, oberhalb der Waldgrenze im Montblanc-Massiv. Er rettet – vorübergehend – das Leben von Seilpartnern, die sich beim Rückzug im Schneesturm verirren. Doch es kommt noch schlimmer, und einer von ihnen schneidet das Seil entzwei. Die Folgen sind für alle Beteiligten verheerend, im Moment und 22 Jahre danach. Der Thriller „Verderben. Einer stirbt. Wer lügt?“ von Carolyn Jess Cooke geht eigentlich einer entscheidenden Frage nach: Wie gehen die Überlebenden eines Bergunfalls damit um? Mit Schuld zum Beispiel. So heisst denn auch das Original: „The Blame Game“. Nur sind in diesem Buch die alpinistischen Begebenheiten so falsch wiedergegeben, dass ich die letzten hundert Seiten wie einen faulen Apfel fallen liess. Null von fünf Sternen.

«Questa è la giornata perfetta per un tramezzino. Ma dovremmo essere a Roma per avere un tramezzino.»

Ein kurzes Zitat aus „Non è stagione“, dem dritten Krimi von Antonio Manzini mit Rocco Schiavone, dem schrägen Ermittler, der von Rom nach Aosta strafversetzt wurde. Das typisch italienische Sandwich ist in den Text geschoben, der sich mit dem italienischen Kriminalroman befasst: „de ‚l’omertà‘ à une mosaïque régionale“. Dieser Text wiederum stammt aus dem Reader „Les lieux du polar. Entre cultures nationales et mondialisation“. Dreizehn Kapitel analysieren die Orte, wo die Kriminalromane spielen. Eine spannende Angelegenheit, vom „roman policier en Suisse (romande et alémanique)“ bis zum „contre-récit policier chinois“. Was leider fehlt, sind kritische Bestandesaufnahmen all der deutschen Bretagne-, Normandie-, Côte-de-Azur-, Provence-, Roussillon-, Bordeaux-, Aquitaine-, Elsass- und Paris-Krimis (um in Frankreich zu bleiben). Und all der Alpenkrimis… Vier von fünf Sternen.

Jörg Maurer: Den letzten Gang serviert der Tod. Alpenkrimi. Fischer Verlag, Frankfurt aM 2020, Fr. 26.-

Gian Maria Calonder: Engadiner Bescherung. Ein Mord für Massimo Capaul. Kampa Verlag, Zürich 2020, Fr. 20.-

Philipp Gurt: Bündner Alptraum. Emons Verlag, Köln 2020, Fr. 20.-

Isabella Archan: Wenn die Alpen Trauen tragen. Emons Verlag, Köln 2020, Fr. 20.-

Gabriel Anwander: Schrattenfluh. Emons Verlag, Köln 2020, Fr. 17.-

Carolyn Jess Cooke: Verderben. Einer stirbt. Wer lügt? Knaur Verlag, München 2020, Fr. 16.-

Lora Traglia, Michel Viegnes, Sylvie Jeanneret (Dir.): Les lieux du polar. Entre cultures nationales et mondialisation. Editions Livreo-Alphil, Neuchâtel 2020, Fr. 35.50.

Tatort Berg: Der 11. Dezember ist der internationale Tag der Berge. Ein Tag, der uns ins Bewusstsein ruft, was uns die Alpen alles bieten: Erholung und Beschäftigung, betörende Kulisse, kulturelle Vielfalt – und vor allem wertvoller Lebensraum für Mensch und Tier. Die Berge können aber auch Schauplatz vieler zwiespältiger Geschehnisse sein: Wilderei, Naturkatastrophen, Bergrettung und die Verrichtung «des Geschäfts». Davon handeln rasante Bildvorträge im Rahmen der Online-Veranstaltung «Tatort Berg» am 11. Dezember, übertragen aus dem Alpinen Museum der Schweiz. Zur Anmeldung geht es hier weiter: www.alpinesmuseum.ch/de/veranstaltungen.

Walther Krimi-Sessions: Die Wintersaison 2020/21 im Hotel Walther in Pontresina steht im Zeichen des Kriminalhörspiels. Die erste Folge gibt’s am 16. Dezember 2020. Alles Weitere unter www.hotelwalther.ch/krimi-sessions.

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