Trämul im Trämel

Klettern macht jung und vielleicht werden wir dabei wieder zum Kind. Ach, das Wallis, mit all diesen Erinnerungen. Den schönen, den traurigen.

Traemul_chmoser

Der Himmel ist nicht so blau wie auf dem Bild (das aus dem Internet abgekupfert ist), grau ist er, obwohl von meteoschweiz blau versprochen. Aber das kennen wir ja diesen Sommer und so stören uns auch die paar Tropfen nicht, die uns ins Gesicht fallen beim Sichern. Der Fels ist so rauh, dass ein bisschen Nässe nicht stört, es ist eigentlich der schönste Fels, den man sich zum Klettern träumen kann. Walliser Gneis, rotbraun, auch schön in der Farbe. Nur ein bisschen mit Magnesia bestäubt und die wichtigen Griffe mit weissem Magnesiapunkt markiert. Eigentlich eine Unsitte, dieses Markieren, denn so klettert man fast wie in der Halle. Immer auf Farbe weiss. Manchmal hilft’s ja auch. Und die Route lohnt sich allemal, Trämul, ein Mega-Klassiker gewiss. Warum die Route im Oberwalliser Kletterführer mit u geschrieben ist, das Gebiet aber mit e, bleibt Geheimnis. Oberwalliser Lautverschiebung vielleicht? Trämel nannten wir im Zürcher Oberland einen gefällten Baumstamm, aber ob das im Wallis das gleiche bedeutet, weiss ich nicht.
Jedenfalls schaffen wir diesen Trämul im Trämel ganz locker, die Wand ist steil, die Griffe jedoch recht praktisch angeordnet und genügend gross und das kühle Wetter sorgt für guten «Grip». Blick hinüber zur steilen Kante Tschak, wo sich Jüngere ein bisschen abmühen. Ho, die schaffte ich letztes Mal on-sight!
Ich beiss mir auf die Zunge. Warum misst man sich, je älter man wird, mit immer jüngeren? Kommt es daher, dass ich nicht alt werden will, wie mir ein Freund vorwarf. Vor 20 Jahren. Oder wird man im Alter wieder zum Kind? Ich weiss noch, wie ich mir das als Kind so vorstellte und zu meinem Vater sagte: «Wenn ich gross bin, bist du dann wieder klein, gell.» Und er sagte: «Genau so ist es.» Er war ja eigentlich ein grosser Witzbold, mein lieber Vater, trotz seiner Melancholie, seiner Traurigkeit, seinem tragischen Leben und seinen unerfüllten Träumen. Wenn er doch noch ein bisschen hier sein könnte. Hier bei uns in diesem schönen Wallis, könnte er unter den Föhren im Schatten sitzen und uns ein bisschen beim Klettern zuschauen. Da fällt mir ein, wie er meine Schwester und mich nach dem Tod unserer Mutter auf eine Reise ins Wallis mitnahm. Wohl um über den Verlust hinwegzukommen, uns vom Elend abzulenken, zu zerstreuen. Psychologen gab’s damals in unserer Welt noch nicht, nichtmal das Wort kannten wir. Wir übernachteten in einem kleinen Hotel in Brig, an der Wand hing eine Figur, die hiess «d Ganter Häx». Vater zeichnete sie ab. Woran man sich alles erinnert, seltsam.
Aber nun bin ich ja schon wieder am Fels, «Frost» heisst die Route mit einem schönen nicht so schwierigen Überhang aber am Ausstieg, wenn man sich schon über ein on-sight freut, wird’s kleingriffig und kompliziert. Na ja, Klettern soll ja nicht einfach sein, drum machen wir es ja. Und schon ist dieser schöne Tag wieder vorbei, wir packen, hinunter geht’s auf Postauto. Die Jungen machen noch weiter, dafür sind sie ja jung. Aber falls mein Vater recht hatte, damals, werden wir es ja auch wieder. Wartet nur!

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