Von Casanova bis Chaplin

Wie schön doch die Schweiz einst war, schön in den Augen von Schriftstellerinnen, Frauenhelden, Politikern und sonstigen Persönlichkeiten, die über ihr Glück nicht nur Tränen, sondern auch viel Tinte vergossen in spannenden Berichten. Drei Sammlungen lassen auch unseren Blick zurückschweifen in eine Zeit, als es am Fuss der Rigi noch 1000 Kleinbauernbetriebe gab. Vielleicht kommen auch uns beim Lesen noch die Tränen.

cover-casanova-churchill

„Die Alpen stehen im übrigen in einem Missverhältnis zu unserem Individuum. Zu gross, um nützlich zu sein. Nun haben sie zum drittenmal eine unangenehme Wirkung auf mich. Ich hoffe, es ist das letzte Mal. Und dann meine Gesellschaft, mein lieber Alter, diese Herren Ausländer, die im Hotel wohnen! alles Deutsche oder Engländer mit Stöcken und Ferngläsern. Gestern war ich versucht, drei Kälber zu umarmen, die ich auf einer Alm traf, aus Menschenfreundlichkeit und Mitteilungsbedürfnis.“

Nein, der französische Schriftsteller Gustav Flaubert war 1874 gar nicht glücklich während der dreiwöchigen Sommerfrische auf Rigi Kaltbad, wie er in einem Brief an den russischen Berufskollegen und Freund Ivan Turgenev klagte. Weder der Ort an sich noch die sonst so sehr gerühmte Aussicht auf die Schweizer Alpenwelt: Nichts konnte den Schöpfer der „Madame Bovary“ entzücken, gar nichts. „Ich würde alle Gletscher der Schweiz für das vatikanische Museum geben. Dort kann man träumen,“ schrieb er der Landsmännin und Schriftstellerin George Sand.

Aber wir dürfen glücklich sein. Mit Flaubert und 34 andern berühmten Persönlichkeiten aus Literatur, Kunst, Forschung und Politik, die zwischen 1760 und 1946 die Schweiz besuchten – und diesen Besuch festhielten in Briefen, Tagebüchern, Erinnerungen, Berichten, mehr oder weniger fiktiven Werken. Wir dürfen mit ihnen durch die Schweiz reisen, den Genfer See sehen, auf den Gornergrat wandern, Titlis, Mönch und Matterhorn bewundern, durch die Eigernordwand klettern. Und natürlich auf der Rigi meistens glückliche Momente erleben. Wie zum Beispiel der US-amerikanische Naturschützer, Umweltphilosoph, Schriftsteller und Bergsteiger John Muir im Jahre 1893: „Das goldene Schimmern auf Seen vom Gipfel der Righi! Die Aussicht, während man auf 1000 bunte Kleinbauernbetriebe hinunterschaut. 1000 Wolken, die marschieren und verweilen.“

Himmlische Aussichten also, die wir teilen dürfen im Werk „Von Casanova bis Churchill. Berühmte Reisende auf ihrem Weg durch die Schweiz“ der Literaturwissenschaftlerin Barbara Piatti. Ein dickes, schönes, klug aufgebautes und stilvoll illustriertes Buch mit sehr lesenswerten Porträts, einer hilfreichen Bibliografie und eben spannenden Originaltexten. Von Leuten, die man kennt, wie Casanova, Elizabeth Main oder Lenin, aber auch von weniger Bekannten, die zu kennenlernen sich lohnt: Jens Immanuel Baggesen, Otto Julius Bierbaum oder Elizabeth Robins Pennell. Letztere bereiste in den späten 1890er Jahren mit ihrem Mann Joseph auf dem Velo die Schweiz und verfasst darüber „Over the Alps on a bicycle“; das Buch widmete sie dem Alpine Club mit den Worten, „that there is another and more delightful method of climbing.“ Kurz: ein ganz starkes Lese- und Weiterlesebuch.

cover-inspiration-schweiz

35 berühmte Reisende dort, 70 hier: Im Buch „Inspiration Schweiz“, das auf eine langjährige Artikelserie im „Tages-Anzeiger“ fusst und das Martin Ebel nun herausgegeben hat. „70 Autoren, Künstler, Musiker, Schauspielerinnen an 70 Schauplätzen“, wie es im Untertitel heisst, wobei letzteres nicht ganz stimmt. Die Rigi beispielsweise bildet drei Mal den Schauplatz, Zürich gleich zehn, Vevey nur zwei Mal: mit Charles Chaplin und mit James Fenimore Cooper, Autor des einstigen Bestsellers „Lederstrumpf“. 13 Persönlichkeiten begegnen wir in beiden Bänden, eben gerade diesem Cooper, aber auch J.R.R. Tolkien im Lauterbrunnental, Leni Riefenstahl am Piz Palü, Hemingway in Chamby oder Arthur Conan Doyle, einmal bei den Reichenbachfällen ob Meiringen, das andere Mal auf der Maienfelder Furgga zwischen Davos und Arosa. Ein inspirierendes Werk auch dieses zweite Buch mit seinen erhellenden Charakterbildern aus der Feder von 25 Journalisten. Hilfreich am Schluss das ausführliche Namens- und Ortsregister. Da liegt die Rigi zwischen Riffelberg und Rocky Mountains.

cover-rigi-ist-rigi

Rigi: Um diesen Berg konnten und können Schweiz-Reisende einfach kaum einen Bogen machen. Ein neues Lesebuch, das Andreas Iten im Auftrag des Hotels Rigi Kulm herausgegeben hat, versammelt 35 kurze und längere Texte zu diesem vielleicht berühmtesten Aussichtsberg der Eidgenossenschaft, von Konstantin Aksakov über Isolde Kurz bis Marlène Wirthner-Durrer. Unbekannte Namen, nicht wahr? Andere haben wir vielleicht schon mal gelesen: John Muir, Otto Julius Bierbaum oder Franz Hohler. Einer fehlt in allen drei neuen Büchern zur literarischen Tourismusgeschichte der Schweiz: David Herbert Lawrence.

Sein Buch „Italienische Dämmerung“, 1916 erstmals unter dem Originaltitel „Twilight in Italy“ erschienen, lässt ein Reise(tage)buch zu Italien vermuten; deshalb kaufte ich es auch im Trödlerladen in der Berner Länggasse, als ich es zufällig entdeckte. Von Italien handelt das zweite Kapitel „Am Gardasee“. Aber in beiden folgenden Kapiteln schildert der Schöpfer von „Lady Chatterley’s Lover“ eine Fusswanderung vom Rheinfall durch die Schweiz und über den Gotthard zurück nach Italien. Ausschnitt: „Am nächsten Tag klomm ich über den Rücken der abscheulichen Rigi mit ihren gemeinen Hotels, um Luzern zu erreichen. Oben auf der Rigi traf ich einen verlorenen jungen Franzosen, der nicht Deutsch konnte und mir sagte, daβ er keinen Menschen finde, der Französisch spreche.“

Barbara Piatti: Von Casanova bis Churchill. Berühmte Reisende auf ihrem Weg durch die Schweiz. Hier und Jetzt Verlag, Baden 2016, Fr. 49.-

Martin Ebel (Hrsg.): Inspiration Schweiz. 70 Autoren, Künstler, Musiker, Schauspielerinnen an 70 Schauplätzen. Illustrationen von Lea Küchler. Limmat Verlag, Zürich 2016, Fr. 36.-

Andreas Iten (Hrsg.): Der Rigi ist die Rigi. Ein Lesebuch. Illustrationen von Lotte Greber. Edition Bücherlese, Hitzkirch 2016, Fr. 22.-

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert