Yoga am Tödi

Es muss nicht immer der Gipfel sein. Berg erleben auf die andere Art, Schritt für Schritt, Atemzug um Atemzug. Stoppuhr und Steigeisen bleiben zu Hause.

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Fuss abheben, Körper bewegen, Fuss aufsetzen. Wir sind unterwegs. Nicht zum Gipfel, sondern zu uns selbst. Bewusst, Körper, Geist und Atem im Einklang mit den Schwingungen der Natur. Regen rieselt sanft, Gletscherwasser rauscht, ein Stein kracht über Schutthalden. Yoga am Berg. Bei jedem Wetter, stand im Programm. Die schleichenden Nebel, das nasse, sattgrün glänzende Buschwerk erinnert unsern mitwandernden Samurai-Nachfahren vielleicht an seine Heimat. Ich erinnere mich gelegentlich, wie ich mit meinem Vater vor mehr als einem halben Jahrhundert durch Regen diesen Weg zur Fridolinshütte hochstieg, mit schwerem Rucksack und bebendem Herz. Dann versinke ich wieder ins Hier-und-Jetzt des meditativen Schreitens. Über Gletscherschliffe hinauf, Wegspuren von Kraftwerksarbeitern folgend, zu einem Quarzband, wo sich im Schutt Kristallsplitter finden. Dann zur Hütte, Yoga im zugigen Korridor, während Bergsteiger klirrend und schnaubend einmarschieren. Stören uns nicht, wir sind ganz bei uns.
Am Morgen enthüllen sich die Berge allmählich, Tödi und Bifertenstock legen ihre Nebelschleier ab, präsentieren ihre faltigen Reize und weissen Kronen wie nicht mehr ganz junge Stripteasetänzerinnen. Wir begrüssen die Sonne in der so genannten Heldenstellung. Jungbergsteiger, die zum Eiskurs aufbrechen, schauen unserem exotischen Treiben zu. Für einmal gehen wir den Berg nicht mit Steigeisen und Haken an, sondern mit sachten und achtsamen Bewegungen und bewusstem Atem. Wir hören nicht auf den Ruf des Bergs, sondern auf die Stimmen der Vögel am Himmel, auf den Wind und das Wassers. Unsere Eiskurse haben wir längst hinter uns. Die Leiterinnen, die uns auf unseren Samtpfotentouren begleiten, sind selber starke Bergsteigerinnen. Fünfmal habe sie die gefürchtete Biferten-Nordwestwand schon durchstiegen, sagt Gabi Aschwanden so nebenbei, und auch den schwierigen und unendlich langen Tödi-Nordgrat mit seinen fünf Steilaufschwüngen. Und und. Jetzt führt uns die Hüttenwartin und Wanderleiterin auf Nebenwegen über Moränengrate, zu blühendem Frauenschuh oder lässt uns auch mal blind durch die Schwemmebene von Obersand laufen. Ursi Ortlieb, die Yogaleiterin, klettert sportlich und alpin und hat mit ihrem Mann Felix auch schon schwierige Routen eingerichtet. Kaum einem Menschen begegnen wir auf unserer Yogatour am Tödi, eine grosse Ruhe erfüllt uns am Ende, auch wenn uns im Abstieg die Knie denn doch etwas schmerzen und wir die Füsse nicht mehr ganz so bewusst setzen wie zu Beginn. Die Berge sind unendlich, das Ziel nicht immer der Gipfel, aber stets ist es das Tal.

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Yogaleiterin Ursi Zweifel Ortlieb und Wanderleiterin Gabi Aschwanden (von links)

Infos: www.bergzyt.ch

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