Vom Après-Ski zum Après-Lift: SchneesportlerInnen, die mit Fellen an den Brettern hochsteigen, geniessen die weissen Hänge ehemaliger Pistenberge in neu-alter Frische. Mit einem neuen Buch im Rucksack.
«Einfach Traumhänge bis hinunter. Schade eigentlich, dass es den Lift nicht mehr gibt. Aber drüben am Chuenisbärgli, da läuft er noch, nur grad jetzt, anfangs Dezember, nicht, zu wenig Schnee. Der steile Zielhang, so gefürchtet bei Athleten, so Furcht erregend bei Zuschauern, sieht von der Fläckli-Perspektive flach aus.»
Das war der Start, am 20. Dezember 2003. Der Start zum Erkunden und dann Vorstellen von Bergen, die einst mit einem Lift oder einer Bahn erschlossen waren und die nach dem Abstellen bzw. Abbruch der mechanischen Aufstiegshilfen wieder zu reinen Skitourenzielen wurden. Hier das Fläckli (1862 m) bei Adelboden, gegenüber dem weltberühmten und skiweltcup-erprobten Chuenisbärgli. Der Fläckli-Lift war ein Stangenschlepplift mit kuppelbaren Klemmen nach dem System Poma, das vor allem in der Westschweiz und in Frankreich im Einsatz war und immer noch ist. Der 1,25 km lange Lift lief von 1962 bis 1999. Die Talstation befand sich auf ca. 1293 m, die Bergstation auf ca. 1825 m; das Häuschen dort steht noch – ein kleiner Lost Place im Schatten des Lohner, mit „nachmittagssonnigen Hängen“, wie ich in meinem Tourenbuch Nr. 19 2003/04 notierte.
In der Saison 2004/05 erkundete ich dann bewusst weitere Skiberge, an denen einst die PistenskifahrerInnen ihre Schwünge hinlegten, wie den Regelstein im Toggenburg, wie La Riondaz ob Leysin und den Lasenberg am Stockhorn ob Erlenbach. Dort waren wir winterlang mit dem steilen Skilift hinaufgefahren, um anschliessend vor allem neben den Pisten hinabzukurven. Der Lift war von 1968 bis 2004 in Betrieb. Daran erinnert nur noch das Holzhäuschen auf dem Gipfeldach des Lasenbergs; verlassen steht es dort oben. In meinem druckfrischen Führer „Après-Lift. 49 Skitouren auf Ex-Bahn-Berge der Schweiz“ ist es gleich zweimal abgebildet.
2005 war in der SBB-Zeitschrift „Via“ mein Artikel „Skitouren. Lustvolles Schwingen an liftfreien Hängen“ erschienen. Im Dezember 2017 veröffentlichte der „Naturfreund“ auf acht Seiten „Neue Skitourenberge erhält das Land“, mit 20 Tourentipps von der Barilette im Waadtländer Jura bis zur Cùlmina im Centovalli. Und nun also „Après-Lift“ mit 373 Seiten. Das Buch widmet sich abgestellten und abgebauten Transportanlagen für Skifahrer und Snowboarderinnen, allerdings nur solchen, die auf oder gegen Gipfel führten. Es stellt 78 Skilifte, 17 Sessel- und 8 Seilbahnen in der ganzen Schweiz vor, die nicht mehr laufen; von der Tête de Ran bei La Chaux-de-Fonds bis zum Passo del Bernina, vom Ottenberg ob Weinfelden bis zu den drei Gipfelskiliften am Monte Lema im Südtessin. Wie schon die wissenschaftlich angelegte Publikation „Letzte Bergfahrt“ (vgl. https://bergliteratur.ch/letzte-bergfahrt/) geht mein zwölfter (und letzter) Skitourenführer in kurzen Schwüngen auch der Frage nach, warum es an diesen fürs Pistenskifahren eigentlich günstigen Bergen keinen Skilauf und schon gar kein Après-Ski mehr gibt. Oder doch? In den verlassenen Tal- und Bergstationen liessen sich doch groovige Einkehrschwung-Partys durchführen – ein unwiderstehlicher Cocktail aus Hula Palu und Lost Places.
„Anregend wirkt auch auf den Gast / der sehr romantische Kontrast / des Schnees, der Kälte, der Gefahr / und hintennach der warmen Bar, / wo man durchnässt und wieder trocken / bei einem Fünfuhrtee kann hocken.“ Was Hubert Mumelter in der „Ski-Fibel“ (1933) zu schreiben vergass, zeigte er auf seiner Zeichnung: Das hübsche Paar, er an den Tresen anlehnend, sie auf dem Barhocker sich räkelnd, trinkt nicht Tee – mais non! Man stelle sich nun vor, neben abgehängten Skiliftbügeln, rostenden Kabinen, herabhängenden Drahtseilen einen „Fünfuhrtee“ zu schlürfen, während sich die Musik mit dem Heulen des Windes vermixt – echt cool, Leute!
Geeignete Lost Ski Places finden sich einige in „Après-Lift“. Zum Beispiel die Talstation der Télécabine Col de Menouve in Super Saint-Bernard; die Bergstation liegt fast auf der Grenze Schweiz-Italien. Wer verlassene Bauten in bella Italia besuchen will, greift zum Führer von Diego Vaschetto: „Fantasmi di montagna. Escursioni ai più spettacolari luoghi abbandonati sulle Alpi del Nordovest”. Fünfzehn „escursioni imperdibili“, unumgängliche Wanderungen, werden vorgeschlagen. Vier Touren zu ehemaligen Seilbahnstationen für den Skilauf enthält der Wanderführer, so auch diejenige zur Cima di Furggen (3491 m) auf dem Verbindungsgrat zwischen Klein und Gross Matterhorn. Die Bergstation ist der höchste Flecken in „Après-Lift“.
Daniel Anker: Après-Lift. 49 Skitouren auf Ex-Bahn-Berge der Schweiz. AS Verlag, Zürich 2022, Fr. 42.80.
Diego Vaschetto: Fantasmi di montagna. Escursioni ai più spettacolari luoghi abbandonati sulle Alpi del Nordovest. Edizioni del Capricorno, Torino 2021, € 13,00.
Radio SRF 1 widmet sich am Donnerstag, 13. Januar 2022, den (winterlichen) Lost Places. Als Morgengast zwischen 7:17 und 7:22 Uhr hat man mich ausgewählt. Skitourenfahrer sind es ja gewohnt, früh aufzustehen, wenigstens im Frühling…
Super Daniel! Sehr interessant und freue mich riesig. Habe heute dein Buch bestellt. Apres Lift. Liebe Grüße.