Die Berge rufen mit Kunst. Mit Büchern und Ausstellungen. Nichts wie hin!
«Es gibt Alpentäler, die fallen ein wenig aus dem Rahmen. Sie überraschen, weil sie Menschen und Kultur beherbergen, wie man sie so in dieser Abgeschiedenheit nicht erwartet. Safien im Naturpark Beverin in Graubünden ist so ein Tal: wild, strukturschwach, abgelegen und trotzdem erfrischend innovativ.»
Und in diesem Jahr unbedingt aufzusuchen, vom 2. Juli bis 23. Oktober. Denn dann findet zum vierten Mal seit 2016 die Art Safiental statt, die diesmal unter dem Motto „Learning from earth“ über die Bühnen geht in diesem 30 Kilometer langen Seitental des Vorderrheintales. Auf der Website von Art Safiental heisst es: „Die Ausstellung versammelt 15 Kunstprojekte in einer Zeit der planetaren Krise. Von der Wirtschaftskrise, Pandemie, Krieg bis zur Klimakrise ist es offensichtlich, dass die Menschheit und ihre Lebensweise auf dem Planeten Erde gefährdet ist. Die im Safiental gezeigten Werke und Projekte sind Kommentare und Vorschläge, die sich kritisch mit der Gegenwart auseinandersetzen und Alternativen zu aktuellen Entwicklungen und Umwälzungen vorschlagen. Sie denken darüber nach, was unsere Beziehung zur Erde ist und was wir von ihr lernen können.“ Liest sich vielversprechend, nicht wahr?
Das Safiental habe ich nicht als Ort für Kunst kennengelernt, sondern als solcher für Skitouren. Auf dem Schlüechtli (2282 m) oberhalb Tenna zog ich schon ein paar Mal die Felle von den Ski. Im Jahr 2018 hätte ich jedoch unbedingt mal im Sommer dort oben stehen müssen, neben der blauen Frauenfigur, die seitlich auf dem Gipfel lag, den Kopf aufs Gras gelegt: „Transparent Earth“, eine Arbeit von Lita Albuquerque. Grossartig! Nun kenne ich immerhin die doppelseitige Foto im Buch „Berge von Kunst. 20 überraschende Orte internationaler Kunst in den Alpen“ von Ute Watzl.
In diesem Bildband nimmt uns die freie Journalisten aus München, die während vieler Jahren in der Redaktion eines Kunstmagazins arbeitete, mit zu alpinen Kunstorten in der Schweiz (8), in Italien (5), Deutschland (4) und Österreich (3). Orte, wo periodisch Kunst inszeniert wird, wie eben im Safiental oder an der Biennale Bergell, Orte aber auch, wo Kunst dauerhaft ausgestellt ist, wie im Schloss Tarasp, im Parkin Not dal Mot in Sent oder im Hotel Castell in Zuoz. Starke Fotos und Texte machen aus dem Bildband von Ute Watzl ein Muss für alle kunstsinnigen Bergreisenden und Berglerinnen.
Es gibt also viel zu sehen, im Sommer und Herbst 2022. Allerdings auch schon jetzt. Denn im Juni schliessen zwei diese Ausstellungen: einerseits „Alpensinfonie. Der Berg in der Kunst“ im Hans Erni Museum im Verkehrshaus der Schweiz in Luzern, andererseits „Raphael Ritz. Aujourd’hui“ im Centre d’exposition du Pénitencier der kantonalen Museen in Sitten. Die Ausstellung in Luzern spannt den Bogen von der zunehmenden Erforschung der Gebirge im 18. Jahrhundert über die touristische Erschliessung im 19. Jahrhundert bis zur wachsenden Bedrohung im 20. und 21. Jahrhundert. Mit Werken von Hans Erni logischerweise, von Ferdinand Hodler (mal nicht Léman oder Jungfrau, sondern die Sulegg!), von Cuno Amiet, Heinrich Danioth, Jules Spinatsch, Caspar Wolf, Andy Warhol und vielen anderen Künstlern. Dazu hat Kurator Heinz Strahlhut eine informative Publikation herausgegeben. Und welcher Berg wird am häufigsten gezeigt, auf alten und neuen Gemälden? Pilatus oder Rigi, die berühmten Luzerner Hausberge? Nein! Das Matterhorn? Fehlt in der Ausstellung; im Verkehrshaus aber steht ein künstliches Horu, darin man eine virtuelle Besteigung des Berges der Berge mitmachen kann. Der meistgemalte Berg in „Alpensinfonie“ ist, nicht ganz erstaunlich, das Wetterhorn.
In Sion schliesslich ist Raphael Ritz (1829-1894) zu entdecken. Das Kunstmuseum Wallis konserviert die umfangreichste Sammlung der Gemälde dieses bedeutenden Walliser Künstlers. Die Ausstellung im ehemaligen Gefängnis zwischen Altstadt und dem Valère-Hügel wirft einen neuen Blick auf dessen Werk, indem es dieses in Dialog mit einer Klangwanderung und zeitgenössischen Fotografien setzt. Bekannt ist das Gemälde von Ritz, das Ingenieure im Gebirge zeigt; zwei von ihnen erholen sich von ihrer Arbeit an einem wärmenden Feuer, das ein Gehilfe unterhält, während im Hintergrund zwei geheimnisvolle Figuren auf besseres Wetter zu warten scheinen. Ebenso vielschichtig ist „Touristen auf dem Pic d’Arzinol“ von 1879: ein Mann und zwei Frauen in städtischer Kleidung studieren eine Karte, während vier Führer und Träger schlafen, trinken oder in eine Richtung zeigen, wo wohl Gämsen oder Kristalle zu finden sind.
Und was lesen wir auf den Fahrten zu den Kunst-Bergen, ausser den drei Büchern, die sich damit befassen? Ein Tipp: „Schatten im Silsersee. Historischer Kriminalroman“ von Christine Neumeyer; sie begleitet Giovanni Segantini (1858–1899) in seinem wichtigen Jahr 1894, beim Umzug von Savognin nach Maloja, und untermalt dieses mit einer fiktiven Krimihandlung. Nun, Krimi- und Thriller-LeserInnen, die gerne atemberaubender Action folgen, werden enttäuscht sein. Aber wer einen Lebensabschnitt des berühmten Bergmalers Segantini miterleben möchte, sollte das Buch auf die Kunstreise in die bündnerischen Alpentäler mitnehmen.
Ute Watzl: Berge von Kunst. 20 überraschende Orte internationaler Kunst in den Alpen. AS Verlag, Zürich 2022, Fr. 42.80.
Heinz Strahlhut (Hg): Alpensinfonie. Der Berg in der Kunst. Hans Erni Museum, Luzern 2021, Fr. 12.- Erhältlich im Shop des Verkehrshauses der Schweiz.
Céline Eidenbenz (Hg.): Raphael Ritz. Schöpfer eines exotischen Wallis. Scheidegger & Spiess, Zürich 2021; in Zusammenarbeit mit dem Kunstmuseum Wallis. Fr. 48.-
Christine Neumeyer: Schatten im Silsersee. Historischer Kriminalroman. Emons Verlag, Köln 2022, € 12,00.
Art Safiental, 2. Juli – 23. Oktober 2022, https://artsafiental.ch.
Alpensinfonie. Der Berg in der Kunst. Sonderausstellung im Hans Erni Museum im Verkehrshaus in Luzern, 17. März 2021 – 19. Juni 2022.
Raphael Ritz. Heute. Ausstellung im Kunstmuseum Le Pénitencier in Sitten, 16. Oktober 2021 – 5. Juni 2022.