Von ruhigen Männern und regen Frauen

Drei ganz unterschiedliche Romane, geschrieben von zwei Frauen und einem Mann. Zweimal sind Männer die Hauptfiguren, einmal Frauen. Zweimal sind die Walliser Alpen der Schauplatz, einmal Berner Oberland, Bayern und Berlin.

«Inzwischen hat sich Galel zu seinen Freunden auf die große Holzbank gesetzt, Paul hat Wein in das dritte Glas eingeschenkt, sie stoßen auf ihr Wiedersehen an. Paul und Jonas fällt auf, dass Galel eine kleine Baldrianblüte hinter dem Ohr hat. Sie lächeln darüber und wissen nicht warum. Sie trinken Wein, und man sieht ihnen beim Trinken zu. Man sieht ihnen zu, wie sie miteinander lachen, wie sie sich in einer Sprache unterhalten, die nur für sie zu existieren scheint, nur für sie in diesem Moment.»

Szene aus dem Roman „Galel“, der 2023 den Schweizer Literaturpreise erhielt und nun auf Deutsch vorliegt, unter dem passenden Titel „Berghütte“. Die Lausannerin Fanny Desarzens, geboren 1993, erzählt in ihrem Erstling von den Begegnungen der drei Männer Paul, Jonas und Galel, denen sich manchmal der Hirte Joseph anschliesst. Paul und Joseph arbeiteten einst als Bergführer, Jonas und Galel sind es noch immer. Einmal im Jahr treffen sie sich in der von Paul geführten Hütte, sprechen über ihre Touren, über ihr Leben vielleicht, über ihre Berge sicher. Es sind die Walliser Alpen, irgendwo im Unterwallis, Fanny Desarzens verrät nicht wo genau, den Mont Osanne, die Aiguille du Suleg oder die Cabane de l’Orsinal wird man auf der Landeskarte nicht finden. Um lokalisierbare Orte geht es in diesem Roman auch nicht, sondern ganz allgemein um das Unterwegssein in Bergen und das Ankommen, um Freundschaft und wie sie sich verändern kann, wenn ein Ereignis die gewohnte Bahn stört. Wie der Sturz von Galel, ausgerechnet von ihm. Fanny Desarzens erzählt in ruhigen, unaufgeregten Sätzen, Schritt für Schritt, wie auf einer Bergtour. Dass ihr dabei der grosse Waadtländer (Berg-)Schriftsteller Charles Ferdinand Ramuz (1878–1947) über die Schulter mit dem Rucksackriemen schaut, macht das Lesen und Schreiten nur angenehmer.

«Endlich entdeckte er am Waldende, zwei oder dreihundert Meter über sich, die Scheune von Prariond. – Gut, das ist von nun an deine Heimat… Als er klein war, hatte er in der Schule einen ähnlichen Satz auswendig lernen müssen. Er setzte sich, denn der Pfad ging nun steil und schnurgerade den Abhang hinauf, ehe er das Häuschen erreichte, das ihm da oben in der Lichtung gehörte. Er musste wieder Kraft schöpfen. – Das ist nun deine Heimat…»

Szene aus dem Roman „L’homme aux herbes“, der 1980 bei Denoël in Paris erschien und nun – endlich – auf Deutsch publiziert wurde, von einem kleinen Verlag in Berlin. „Der Kräuterarzt“ ist ein Alterswerk des einst viel gelesen und hoch geschätzten Walliser Autors Maurice Zermatten (1910–2001). Doch 1970 kippte die Bewunderung, weil Zermatten, damals Präsident des Schweizerischen Schriftstellerverbandes, das arg reaktionäre „Zivilverteidigungsbuch“ ins Französische übersetzt hatte und sich davon nicht distanzieren wollte. In der Folge traten viele (Deutsch-)Schweizer Schriftsteller aus dem Verband aus und gründeten die Gruppe Olten. Nun ist der Verfemte zurück auf der literarischen Bühne, passend mit einem Roman aus den Walliser Alpen. Der alte Dorfdoktor Niclas, der seine Leute mehr oder weniger erfolgreich mit selbst gesammelten Kräutern und gemachten Tinkturen heilte, fürchtet die Konkurrenz eines modernen Arztes aus dem Tal und zieht sich zurück in seine Alphütte, begleitet von einem Hund und einer Ziege. Dort oben lebt und überlebt er im Sommer und Herbst, nur noch ab und zu Kräuter wie Edelraute und Baldrian suchend. Zermatten begleitet seinen Helden hautnah, die Erzählhaltung wechselt dauernd von draussen nach drinnen, von der Gegenwart zur Vergangenheit, von Naturbeobachtungen zu Selbstgesprächen. Erlebte Geschichten als Arzt, als Ehemann, als Vater tauchen immer wieder auf. Nur die Leute vom Dorf tun das nicht, lassen ihn verkümmern dort oben in den Bergen. Man muss sich Zeit lassen bei der Lektüre, sich einstellen auf diesen Lebensfluss, der auf Prariond bei der uralten Lärche zum Rinnsal wird. Sie wird die Winterstürme überleben, das Häuschen wohl auch. Aber der welkende Mann?

«Die Zelte waren schnell aufgestellt. Nachdem Hedis stand, machten sich Thomas, Anderl und Hias an ihr eigenes. Derweil legte Hedi ihre Ausrüstung sorgfältig auf dem Boden aus. Eishaken, Mauerhaken, Karabiner, zwei Eispickel, Kletterhammer, Steigeisen, Hanfseile, Benzinkocher, Verbandszeug, Arznei. Die Provianttasche stellte sie in die Ecke, ihren Rucksack mit Kleidung und Pflege daneben. Dann ging sie hinaus. Thomas und Hias saßen vor dem Eingang des Männerzeltes. „Wo ist Anderl?“, fragte sie.»

Szene aus dem Roman „Am Ende des Seils“ von Birgit Zimmermann. Sie lebt in der Eifel, ihr grösstes Interessengebiet sind, so heisst auf dem Klappentext, „starke Frauenfiguren, die gegen die Konventionen ihrer Zeit ankämpfen und dabei auch ihre Liebe finden.“ Genau das passiert der jungen Lehrerin Hedi Landauer aus Bayrischzell im Jahre 1936. Ihre Leidenschaft gilt dem (Frauen-)Bergsteigen – und Thomas Leitner. Und wenn beides nun unter und in der undurchstiegenen Eigernordwand klappte? Im Zelt finden Hedi und Thomas ihr Gipfelglück, aber bei der versuchten Durchsteigung stürzen Anderl und Thomas ab, Hedi rettet sich und Hias im eigertypischen Schneesturm zurück ins Leben. Es wird noch schlimmer, denn die Nazis überwachen immer stärker das Land, Leni verliert ihre Stelle, weil sie Hitlers Partei nicht beitreten will, und ihr Anliegen eines alpinen Frauenvereins gerät ebenfalls in politischen Steinschlag. Birgit Zimmermann hat einen spannenden, zuweilen auch etwas kitschigen (Berg-)Roman in einer spannungsgeladenen Zeit geschrieben. Nur schade, dass das, was „Am Ende des Seils“ in der Eigerwand passiert ist, ziemlich unwahrscheinlich ist. Mehr sei nicht verraten. Selber lesen, am besten auf der sonnigen Bank an der Holzwand einer Berghütte.

Fanny Desarzens: Berghütte. Atlantis Verlag, Zürich 2023. Fr. 28.-
Maurice Zermatten: Der Kräuterarzt. Edition Noack & Block, Berlin 2023. € 22,00.
Birgit Zimmermann: Am Ende des Seils. HarperCollins, Hamburg 2023. € 16,00.

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