Die Koloristen

Drei Kilo Buch über Schweizer Landschaftsgraphik von 1766 bis 1848. Ein bibliophiles Werk, das gewiss nicht durch einen Kindle-reader oder iPhone Bildschirm ersetzt werden kann. Bestens auch geeignet zum Beschweren des Christbaumständers (wegen Brandgefahr) und zum Lesen, Betrachten und sich freuen.

„Auf der anderen Seite sind zwey von dem berühmten Wollet gestochene Stücke des schönen Gartens von Whycomb in England; zwischen ihnen unser verewigter Leβing, und über diesem steht ein alter Griechischer Kopf, der über die Fehler des Menschen unter ihm lächelt. […] Dann kommen wieder zwey Stücke des obigen Gartens und Künstlers; in ihrer Mitte aber eine von dem in Teutschland eben so berühmten Maler Aberli, in farbigem Kupfer von Guttenberg gestochene Aussicht des Thuner Sees, und der herrlichen Gebürgen dabey.“

So schilderte die deutsche Schriftstellerin und Salonnière Sophie von La Roche (1730 – 1807) ihr Arbeitszimmer in Speyer im März 1783, abgedruckt im Text „Antwort auf Fragen nach meinem Zimmer“. Und jetzt wieder zitiert in einem Kapitel eines üppigen Kunstbuches, das ich allen empfehlen kann, die sich für die Schweizer Landschaftsmaler um Johann Ludwig Aberli interessieren – und vielleicht noch kein Weihnachtsgeschenk haben. „Die Koloristen“ heisst dieses knapp drei Kilo schwere Werk: Auf 476 Seiten, mit 236 farbigen und 30 schwarzweissen Abbildungen behandelt Tobias Pfeifer-Helke die Schweizer Landschaftsgraphik von 1766 bis 1848. Wissenschaftlich und weitausholend, von der Sozialgeschichte der Koloristen, Maler und Zeichner über druckgraphische Aspekte und die Wasserfarbenmalerei bis zu Wanderungen im Bild und zum ältesten erhaltenen Landschaftspanorama der Welt, dem Wocherpanorama in Thun.

Also immer wieder diese Stadt und dieser See im Berner Oberland – das Cover des Buches zeigt allerdings Unterseen bei Interlaken, nach einem Aquarell von Gabriel Matthias Lory. Er war der Sohn von Gabriel Ludwig Lory und wird wie der Vater, wie Aberli, Heinrich Rieter sowie Peter und Samuel Birrmann ausführlich vorgestellt, in Wort und vor allem auch im Bild. Viele ihrer Graphiken werden hier das erste Mal publiziert. Wunderbar finde ich die unfertigen Blätter, auf denen die Szenerie schon mehr oder minder vorgezeichnet, aber noch nicht ganz koloriert ist. Work in progress, sozusagen: rund 200 Jahre alt, aber von einer geradezu verblüffenden Modernität. Vor allem Heinrich Rieter war ein Meister dieser Skizzen. Eine der „Studien mit der Büste Rousseaus auf der Petersinsel im Bielersee“ würde ich sofort in meinem Arbeitszimmer aufhängen. Noch fast lieber allerdings Samuel Birrmanns Aquarell „Der Thunersee mit dem Stockhorn auf dem Niesen“ von 1820. Vielleicht liegt ja eine Kopie unterm Baum. Frohe Weihnachten!

Tobias Pfeifer-Helke: Die Koloristen. Schweizer Landschaftsgraphik von 1766 bis 1848. Herausgegeben von der Stiftung Graphica Helvetica. Katalog in Zusammenarbeit mit Francisca Lang und Gun-Dagmar Helke. Deutscher Kunstverlag, Berlin/München 2011, Euro 68.-

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