Gedichte für Bergfreunde

Wo sich Atheisten «Grüss Gott» sagen, da blüht auch Poesie. Sie haben es erraten: Wir sind im Gebirg. Auf steiler Versfahrt, mit und ohne Reim. Mit und ohne Abendrot und Gipfelblick. Und jedenfalls nicht schwer zum Tragen: 144 Gramm im Taschenbuch. Wer schrieb nicht gern ein Berggedicht? Unter andern Robert Gernhardt. Kein Bergsteiger, aber vielleicht Atheist.

Das Lied des Wanderers

Abendrot schon gegen Westen
lenkt die Sonne ihren Lauf,
immer neue Gipfel aber
steigen vor dem Wanderer auf!

Ach, es ist ein mühsam Ringen!
und was lohnt am letzten Schluß?!
Immer steiler führt es weiter,
immer müder wird der Fuß…

Immer neue Gipfel ragen
über den erklommenen auf!
ach, und immer abendtiefer
senkt die Sonne ihren Lauf!

Mit einem Gedicht begann die Bergbücherfahrt in diesem Jahr, mit Gedichten geht sie zu Ende. Mit den 82 Gedichten, die Alexander Kluy für das nur 144 Gramm schwere dtv-Taschenbuch „Gedichte für Bergfreunde“ ausgewählt hat. Kluge, unbekannte, hübsche, lange, kurzweilige, jeweils genau vorortete Gedichte: eine zünftige Verstour über 144 Seiten, aufgeteilt in die fünf Etappen „Sehnsucht. Aufbruch“, „Hinauf. Nach oben“, „Gipfelblick. Der Berg ins uns“, „Tierisches. Allzu Menschliches“ sowie „Abstieg. Rückblick“. Am Start finden wir das „Lied des Wanderers“ von Cäsar Flaischlen (1864-1920), den Schluss macht Robert Gernhardt (1937-2006) mit „Vergebliches Vorhaben“, das so beginnt: „Ich schrieb‘ so gern ein Berggedicht“…

Ja, wer nicht, Hand aufs Herz? Aber nicht allen ist gegeben, was zum Beispiel Manfred Hausin mit dem Dreizeiler „Bayern“ schafft: „Hier sagen/Die Atheisten/Grüß Gott“. Drum lass ich das Dichten sein und sag bloss: Es guets Nöis!

Gedichte für Bergfreunde. Herausgegeben von Alexander Kluy. Mit Illustrationen von Lisa Helm. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2012, Fr. 11.90.

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