Eiger, Eiger & Eiger

Passion Eiger. Gleich in drei neuen Werken.

«Wir sind heraus aus unserem Film, ohne inszenierten Absturz, ohne spektakuläre Rettungsaktion à la Toni Kurz und trotzdem erfüllt von lebendigen Bildern und Erfahrungen aus dem Schatten der Nordwand. Diese nehmen wir mit in den nächsten Film: letzte Rucksackschlepperei hinunter zur Bahnstation Eigergletscher, hochsommerliche Wärme im Tal und ein erfrischend-kühles Bad im Brienzersee. C’est la vie!»

So schliesst Daniel H. Anker (Jg. 1959), Lehrer, Bergführer und Erstbegeher schwierigster Routen vor allem in den Berner Alpen und im Montblanc-Massiv, seinen Beitrag „Unser eigener Eiger-Film“ im jüngsten Buch zur berühmtesten Nordwand der Welt: „Passion Eiger. Legendäre Routen damals und heute.“ Eine dieser Routen ist „Eigersanction“, die den Titel des Films mit Clint Eastwood aufnimmt, der seinerseits auf dem gleichnamigen Roman von Trevanian aufbaut. Daniel H. Anker – das „H.“ ist insofern wichtig, als es sonst noch mehr Verwechslungen gibt mit dem andern Daniel Anker (Jg. 1954), Historiker, Journalist und Autor von Bergbüchern – eröffnete „Eigersanction“ zusammen mit Michel Piola. Ihre erste gemeinsame Route in der Wand der Wände, unternommen an drei Tagen Anfang August 1988: Die Kletterei bedeutete „die Umsetzung bohrhakengesicherter Sportkletterrouten im alpinen Gelände“, wie in „Passion Eiger“ zu lesen ist. Das Buch wird am Donnerstag, 10. September 2020, im Kino Rex in Thun vorgestellt.

Wenn sich solche Spezialisten zu einer neuen Eiger-Seilschaft verbinden, kann nichts schiefgehen: Rainer Rettner, Kenner und Archivar der Eiger-Geschichte schlechthin sowie Autor von drei Büchern zum Thema; Jochen Hemmleb, Mitautor des Buches über die Eiger-Winterdirettissima von 1966; Roger Schäli, Extremalpinist und Begeher fast aller alten und neuen Routen in der Nordwand. Ihr Buch über die Eigernordwand ist so markant und spannend wie diese Wand. In 15 Seillängen wird die Geschichte der Direktrouten von den Anfängen bis zu den spektakulären Wiederholungen durch Schäli & Co. erzählt und beschrieben, mit vielen unbekannten Fotos gezeigt und mit Porträts von Eigermännern und -frauen ergänzt. Zudem kommen vier Eigerhelden in Originalbeiträgen zu Wort, darunter eben mein Namensvetter. Schlicht grossartig, wie Christel, Michel und Pavel einst voraus spurten, was Roger mit Robert und Nina in freier Manier wieder und neu erkletterte – und was sich nun alles auf fast 300 Buchseiten nachlesen lässt. Kurz: „Roger Schäli – Passion Eiger“ ist ein Eckpfeiler der Bergliteratur.

Kalt ist die Eigernordwand, aber sie lässt einen nicht kalt. Auch nicht den Mailänder Reise- und Bergschriftsteller Paolo Paci (Jg. 1959), der nach dem starken Werk über das Montblanc-Massiv (vgl. https://bergliteratur.ch/gipfelstuermer-im-montblanc-massiv/) das Berner Oberland ausführlich erkundet hat. „L’Orco, il Monaco e la Vergine. Eiger, Mönch, Jungfrau e dintorni: storie dal cuore ghiacciato d’Europa” heisst sein lesenswertes neues Buch, trotz ein paar Verhauern, gerade am Eiger. So unternahm 1937 Loulou Boulaz, einst die beste Alpinistin der Schweiz, nicht mit Raymond Lambert einen Durchsteigungsversuch, sondern mit Pierre Bonnant. Insgesamt aber bringt Paci erwärmende, teils kaum bekannte Geschichten aus dem eisigen Herz Europas, und nicht nur vom bösen Oger und andern Högern, sondern auch von Chalets und Kühen, Quellen und Segelbooten. Einzig über die (bern)deutschen Namen beklagt er sich mehrmals: Oeschinenwald, Rezligletscherseeli oder Ziegenzuchtgenossenschaft ist für einen Anderssprachigen halt kaum on sight zu schaffen (um einen klettertechnischen Begriff zu strapazieren).

Vor 85 Jahren hätte der 15. Band der Reihe „Le montagne incantate“, die der Club Alpino Italiano mit National Geographic herausgibt, noch nicht so geheissen: „Sull’Eiger – La parete della paura e l’Oberland Bernese“. Bis 1935, als die ersten Toten in der Eigernordwand für Schlagzeilen sorgten, stand die Jungfrau unangefochten an erster Stelle der Berner Oberländer Gipfel. Nun liegt sie sozusagen im Schatten des Eigers und seiner „Wand der Angst“. Die Vergine hat in diesem 160seitigen, bellissimo bebilderten Buch natürlich schon auch ihre Auftritte, vor allem im Kapitel „Sulla Jungfrau con Hegel e Byron“. Und doch haben es die beiden Herren schwer gegen Clint Eastwood, der von seinen Filmarbeiten am Eiger erzählt. Was italienische Seilschaften in der „parete della paura“ erlebten, wird gleich in zwei Kapiteln geschildert. Und schliesslich haben Rainer Rettner und Daniel Anker ihre Eigerchronik bis ins Jahr 2019 aufdatiert. Vor ziemlich genau einem Jahr eröffnete Roger Schäli zusammen mit Nina Caprez (Schweiz) und Sean Villanueva (Belgien) am Genfer Pfeiler die neue Linie „Merci la vie“. Die noch ausstehende Rotpunktbegehung dieser rein klettertechnisch schwierigsten Nordwandroute schafften Roger und Nina im Juli bzw. August 2020. Vor ein paar Wochen aber wurde Mister Eiger seiner Wand untreu: Mit Anne-Gita Scheibler kletterte er die neue Route „Silent Crush“ in der Südostwand. Eiger rundum halt.

Roger Schäli, Rainer Rettner, Jochen Hemmleb: Passion Eiger. Legendäre Routen damals und heute. AS Verlag, Zürich 2020, Fr. 34.90.
Buchvernissage „Roger Schäli – Passion Eiger“ am Donnerstag, 10. September 2020, im Kino Rex in Thun. Apéro Riche ab 19 Uhr, Präsentation des Buches von 20 bis 22 Uhr. Eintritt 10 Fr. Anmeldung unter: www.baechli-bergsport.ch/passion-eiger

Paolo Paci: L’Orco, il Monaco e la Vergine. Eiger, Mönch, Jungfrau e dintorni: storie dal cuore ghiacciato d’Europa. Casa Editrice Corbaccio, Milano 2020, € 19.90.

Sull’Eiger – La parete della paura e l’Oberland Bernese. Le montagne incantate, Vol. 15. Club Alpino Italiano/National Geographic, Roma 2020. € 12.90. www.cai.it/prenotazioni/libri-e-manuali/le-montagne-incantate/; www.nationalgeographic.it/montagne-incantate

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