Eine Handvoll Bildbände

Sie sind schwer. Sie sind gross. Sie machen sich gut unterm Weihnachtsbaum. Verpackt jedenfalls bestimmt. Die Fotobücher. Hier sind fünf.

«Un jour blanc horrible, sous la pluie, et il fallait shooter des champions de ski de fond! Alors on s’est concentré sur l’essentiel, le geste, en travaillant avec des vitesses lentes, jusqu’à obtenir, après une bonne centaine de passages, le geste le plus épuré.»

Dieses Zitat der französischen (Berg-)fotografin Monica Dalmasso aus ihrem intensiven Bildband „Sauvage!“ wählte ich auch deshalb aus, weil es draussen fast genau so war, als ich diese Rezension verfasste: wunderbar weiss am Morgen, widerwärtiger Wasserschnee am Abend. Nur musste ich nicht fotografieren, sondern konnte in der trockenen, warmen Stube fünf neue Fotobücher anschauen. Und da gefielen mir die Fotos von Monica Dalmasso besonders gut. Das schwarzweisse mit den zwei Skatern, die als schwarze Schemen kräftig durchs Weisse flitzen – Klasse! Eine weisse Welt ebenfalls, diesmal aber vertikal, auf dem Foto mit dem Eiskletterer Nicolas Gette am linken Ufer des Glacier d’Argentière: rot die Jacke und der Helm, grün der Rucksack; die beiden Seile, die nach oben zum nicht sichtbaren Bergführer Louis Laurent verlaufen, ebenfalls rot und grün; die Route mit der Schwierigkeit TD- heisst „Home wet Home“ – passt rundum perfekt. Ich könnte noch viele andere Fotos mit den treffenden  Legenden von Monica Dalmasso hervorholen. Wer noch die Texte von Cédric Sapin-Defour verstehen will, muss tief in die Französisch-Tasche greifen. Doch die Bilder sprechen bestens für sich, mais oui!

Bleiben wir noch am Argentière-Gletscher, mit „Les photographes Gay-Couttet. Un siècle d’images autour du Mont-Blanc“ von Hubert Gay-Couttet. Über ein Jahrhundert lang lagen die Gipfel zwischen Mont-Blanc und Matterhorn vor den Linsen von vier Generationen der Fotografen französisch-schweizerischer Herkunft: Michel Couttet, Auguste Couttet, Justin Gay, Roland Gay-Couttet. Wie die Familie Tairraz gehörte auch die Familie Gay-Couttet zu den einheimischen Fotografen, die sich in ihrer vertrauten Umgebung bewegten. Und die nicht nur die grossen Momente festhielten, sondern auch ganz alltägliche. Sowie Motive für die Touristen, die eine gedruckte Erinnerung heimnehmen wollten. Mit den schwarzweissen Fotos von Gay-Couttet tauchen wir ein in das Chamonix von einst: der Bau der Seilbahnen, Szenen vor den Hütten, Eiskunstlauf in der Stadt. Und immer wieder Fotos von klassischen Hochtouren, mit Alpinisten auf verwächteten Graten und hinten die granitenen Zinnen – zeitlos schöne Bilder aus dem Hochgebirge. Zum Beispiel auf Seite 105: Traversée des Courtes. En arrière-plan, les aiguilles Ravanel et Mummery, et le Triolet. Möchte man am liebsten wandgross aufhängen.

Und weiter geht die Fotoreise, von Chamonix der Arve entlang nach Genf und an den Lac Léman. Nach dem Bildband „Genève dans l’oeil du drone“ (2019) folgt nun die Fortsetzung des Rundflugs, wieder mit den Fotos von Olivier Riethauser und kommentiert von Christian Vellas: „Le tour du Léman dans l’oeil du drone“. Eine Fahrt auf dem Schweizer Ufer bis nach Saint-Gingolph – mit Lavaux und Chillon, um nur zwei weltbekannte Sehenswürdigkeiten zu nennen. Dann zurück über das savoyische Ufer, Evian, Thonon, Yvoire… Ein Spaziergang in der Luft, der alle Besonderheiten dieser Ufer aus modernem Blickwinkel offenlegt. Jacques-Louis Manget freute sich mächtig. Im Vorwort zu seinem ersten Werk mit dem etwas umständlichen Titel „Description et itinéraire des bords du Lac de Genève, ou manuel du vovageur dans la Vallée du Léman“ stellt er fest: „Eine Wegbeschreibung der Rundtour um den Genfersee war seit langem gefragt; nicht dass schon beinahe alles über diese Landschaft gesagt wurde, aber noch niemand hatte sich bisher die Mühe genommen, das Ganze zu beschreiben, und zwar unter den verschiedenen Aspekten, die den Touristen interessieren können.“ Schön gesagt – anno 1822. Übertroffen wurde es vom im folgenden Jahr publizierten Werk „Voyage pittoresque autour du Lac de Genève“. Zu Mangets Text kommen elf Ansichten, die man alle einrahmen könnte.

Das könnte man auch mit vielen Fotos in Thomas Biasottos „Berner Oberland“ machen. 256 Seiten mit 130 Abbildungen, davon 24 in Farbe, gebunden, Hardcover, 23 x 34,9 x 3,5 cm gross, knapp zwei Kilo schwer. Ein Prachtband mit der Gipfelwelt vor allem der östlichen Berner Hochalpen, oft mit dramatischen Wolken und Schattenwürfen, oft aus dem Helikopter fotografiert, kaum mit menschlichen Hinweisen ausser da und dort eine Spur, ein paar einsame Alpinisten, mal die Sphinx auf dem Joch, mal eine Hütte ob dem Oeschinensee. Wie ein Wesen aus der Urzeit die Nordwestwand des Wetterhorns, schrecklich abwärtsgeschichteter Fels, ein paar letzte Firnflecken: was für eine Aufnahme! Und doch: nach dem neunten Schreckhorn und dem elften Mönch hätte man gerne mal die Gelmer- und Sustenhörner, die Fünffinger- oder Wendenstöcke à la Biasotto gesehen. Sie gehören schliesslich auch zum Berner Oberland. Erst recht, wenn frisch verschneit.

Zurück zum Schnee und zu „Powder. Auf Boards und Skiern durch die weiße Welt“. Ein Autorenkollektiv stellt mit Aufnahmen verschiedener Fotografen verlockende Skiregionen und -orte aus fünf Kontinenten vor. Aus den Alpen sind es, nicht ganz überraschend, St. Moritz, Kitzbühel, Chamonix und Cortina d’Ampezzo, aus Amerika San Carlos di Bariloche, Pemberton und Aspen. Aber nicht die Auswahl der Orte soll bemängelt werden, sondern die oft unpräzisen Legenden zu den leider nicht immer passenden Fotos. Einen bösen Sturz in dieser Hinsicht passiert auf Seite 101 im Abschnitt „Das legendäre Herz der Dolomiten“. Zur Legende „Bei seiner großen Beliebtheit unter den Wintersportfans ist es kein Wunder, dass Cortina d’Ampezzo einer der Austragungsorte der Olympischen Winterspiele 2026 ist“ zeigt das farblich blasse Bild zwei Skitouren- und einen Snowboardgänger auf einer hartgefrorenen, schneearmen und flachen Piste gegen einen Lift marschieren, wo Schneekanonen mächtig am Speien sind. Schnell zurückblättern zum Vorwort von Lindsey Vonn. Es startet so: «Nirgendwo sonst fühle ich mich so frei, so voller Kraft und so präsent wie in den Bergen – denn hier ist alles möglich. Wenn du auf dem Gipfel eines Berges stehst und nach unten schaust, siehst du unendlich viele Möglichkeiten.» Wenn der Schnee nicht zu nass ist…

Monica Dalmasso: Sauvage! Textes de Cédric Sapin-Defour. Éditions Glénat, Grenoble 2023. € 30,00.

Hubert Gay-Couttet: Les photographes Gay-Couttet. Un siècle d’images autour du Mont-Blanc. Éditions Slatkine, Genève 2023. Fr. 57.55.

Olivier Riethauser (photographies), Christian Vellas (textes): Le tour du Léman dans l’oeil du drone. Éditions Slatkine, Genève 2023. Fr. 65.-

Thomas Biasotto: Berner Oberland. Vorwort von Adolf Ogi. Verlag TB swiss creative, Appenzell 2023. Fr. 97.- https://tb-photo.ch/buch-berner-oberland

Powder. Auf Boards und Skiern durch die weiße Welt. Vorwort von Lindsey Vonn. Benevento Verlag, Wals bei Salzburg 2023. € 45,00.

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