Ein Comic und ein Führer, darin Klettergeschichte geschrieben wird. Viel Freude beim Ansehen und Angehen.
– HANS, C’EST TOI LE MEILLEUR GRIMPEUR!
– PEUT-ÊTRE, MAIS DU AS BEAUCOUP PLUS D’AUDACE QUE MOI.
~ ON DIRAIT DEUX COQS…
Imaginiertes Gespräch zwischen Paul Preuss und Hans Dülfer in einem Bierkeller in München um 1912, belauscht und in Gedanken kommentiert von Dülfers Freundin Hanne Franz. Die beiden „Gockel“ gehörten damals zu den weltbesten Kletterern und machten mit atemberaubenden Neutouren sowie bahnbrechenden Techniken und Vorsätzen von sich reden – Preuss mit dem Freiklettern und dem Verzicht auf Hilfsmittel wie Felshaken, Dülfer mit der Gegendrucktechnik und einem Abseilsitz. Aber auch Hanne Franz war eine ausgezeichnete Kletterin: Mit Hans machte sie die erste Winterbesteigung und die erste Winterüberschreitung der südlichen Vajolett-Türme sowie die Winterbegehung der Fehrmann-Kamine am Stablerturm. Sie bewunderte seine Eleganz nicht nur beim Klettern, sondern auch beim Pianospielen: „Tu caresses les touches comme les prises quand tu grimpes, mon amour.“
Die Komplimente beim Bier bzw. Klavier finden sich auf Bildern im Comic „Il était une fois l’escalade“ von David Chambre und Catherine Destivelle (scénario), Laurent Bidot (dessin) und Clémence Jollois (couleur). Auf 196 Seiten mit sieben Kapiteln sowie einem Prolog (Homo sapiens, un grimpeur-né) und einem Epilog (objectif Tokyo) wird die Geschichte des Klettern gezeichnet, von den Engländern im Lake District und den Deutschen im Elbsandsteingebirge über die Wände im Yosemite, die Blöcke im Tessin (eine Seite, immerhin) und die künstlichen Strukturen beim Wettkampfklettern bis zu den atuellen Stars wie Adam Ondra, Alex Honnold und Laura Rogora. Am Schluss gibt es noch eine Übersicht berühmter Kletterarenen (Drei Zinnen, Verdon, El Capitan, Fontainebleau, Eiger und Buoux), ein Glossar und eine Vergleichstabelle der Kletterschwierigkeiten. Die Routen von Preuss und Dülfer bewegten sich im Bereich VI (UIAA-Skala) bzw. 5b (franz. Skala), die schwierigsten heute sind mit XII/9c bewertet. Da kommt man nur beim Zuschauen feuchte Hände, was beim Comiclesen allerdings nicht stört.
Ein Tal, in dem auch Klettergeschichte geschrieben wurde, liegt sozusagen nur einen Steinwurf von der Schweiz entfernt: das Val di Mello im südlichen Teil der berühmten Bergeller Alpen – einer ihrer Gipfel, der Pizzo Cengalo, machte 2017 mit einem grossen Bergsturz von sich reden. Apropos Sturz: Am Precipizio degli Asteroidi, einem dieser glattgeschliffenen Granitberge, mit denen das Val di Mello glänzt, kam das Klettern dort so richtig in Gang. Oceano irrazionale heisst einer der Klassiker, 1977 von der Seilschaft Guerini-Villa eröffnet. Andere berühmte Routen im Tal sind Luna Nascente und Il Paradiso può attendere. Niccolò Bartoli beschreibt im Führer „Val di Mello. Trad- und Sportklettern in der Wiege des Freikletterns in Italien“ die Routen und die Klettergeschichte des Tales. Was fehlt, ist der Index aller Anstiege. Doch wer sich mit Seil und Kletterfinken ins Val di Mello aufmacht, wird sich bestimmt zurechtfinden. Die Andern bewundern die Kletternden in den granitenen Fluchten, lesen die spannenden Stories und Porträts, träumen vielleicht davon, mal Vertical holidays am Monte Qualido zu erleben.
Vom Münchner Bierkeller und Val di Mello zurück nach Bern, genauer nach Ostermundigen in die Kletterhalle O’BLOC. Dort findet am Donnerstag, 30. November 2023, die Veranstaltung „Erhard Loretan – (R)evolutionen im Bereich des Kletterns“ statt. Im Sommer 2024 eröffnet im Alpinen Museum der Schweiz eine Ausstellung über den Alpinisten Erhard Loretan. Als Vorgeschmack werden erste Highlights aus Loretans Nachlass präsentiert, der im Museum aufbewahrt und erschlossen wird. Erhard Loretan, der die Grenzen zwischen Mut und Unbekümmertheit auslotete, verbrachte in seinen Jugendjahren jede freie Minute beim Klettern in den Gastlosen. In einer Diskussion im O’BLOC werden Experten über die Entwicklung des Kletterns sprechen, seit Erhard Loretan 1975 seine ersten Routen in den Gastlosen eröffnete.
David Chambre und Catherine Destivelle (scénario), Laurent Bidot (dessin) und Clémence Jollois (couleur): Il était une fois l’escalade. Éditions du Mont-Blanc/Les Arènes BD, Les Houches/Paris 2023. € 27,00.
Niccolò Bartoli: Val di Mello. Trad- und Sportklettern in der Wiege des Freikletterns in Italien. Edizioni Versante Sud, Milano 2023. € 38,00.
Erhard Loretan – (R)evolutionen im Bereich des Kletterns. Veranstaltung des Alpinen Museum im O’BLOC in Ostermundigen, Donnerstag, 30.11.2023, 18.30 bis 20.00 Uhr. Die Veranstaltung ist kostenlos und ohne Anmeldung. https://obloc.ch/