Skiland Schweiz. Eine Geschichte

Der prächtig und frisch illustrierte Bildband zeigt aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln, wie sich der Skilauf seit 1892 bis heute entwickelt hat. Endlich das passende Buch zum Hit „Alles fahrt Schi, alles fahrt Schi, Schi fahrt die ganzi Nation“!

«Rennunfälle sind per Definition individuell erlebte Ereignisse, in der Einsamkeit der Konfrontation mit der Rennstrecke, und es ist immer der einzelne Körper, der die Narben tragen wird. Denken wir an den Bündner Abfahrer Silvano Beltrametti, der seit seinem Sturz 2001 in Val-d’Isère querschnittsgelähmt ist; an den vielseitigen Skifahrer Daniel Albrecht, der 2009 bei der Abfahrt von Kitzbühel durch einen furchtbaren Unfall ein Schädel-Hirn-Trauma erlitt. Oder in der Nachkarriere die desaströsen Schicksale wie die der Meisterin Michèle Rubli, der ersten Frau des 1996 in Kanada bei einer Lawine ums Leben gekommenen Bernhard Russi.»

Was?? Nein!! Er lebt, Bernhard Russi. Aber seine erste Frau, die Skirennfahrerin Michèle Rubli, sie starb 1996 in einer Lawine. Das war so, leider. Deshalb heisst es im Original: „…les destins funestes tels ceux de la championne Michèle Rubli, la première épouse de Bernhard Russi, décédée dans une avalanche au Canada en 1996.“ Bei der Übersetzung ins Deutsche passierte der Unfall, aus dem weiblichen „décédée“ wurde ein männliches „décédé“. Ja, wenn man weder die Sprache noch die Geschichte gut kennt, geschieht Desaströses. Aber jetzt, nach der Korrektur, lebt der Bernhard auch im deutschen Text: „Denken wir (…) an das Schicksal der Skirennfahrerin Michèle Rubli, der ersten Frau von Bernhard Russi, die 1996 in einer Lawine in Kanada ums Leben kam.“

Bernhard Russi lebt also. Und wie er lebt, auf vielen Seiten in einem schönen, schwungvollen, umfassenden, fein bebilderten Buch zur Geschichte des schweizerischen Nationalsportes. Eigentlich hätte ich ein „sehr“ vor die Adjektive setzen wollen, doch ich traute mich nicht. Weil ich an „Skiland Schweiz. Eine Geschichte“ bzw. „Le ski en Suisse. Une histoire“ mitgearbeitet habe. Vier der fünfzig Kapitel (inklusive Vorwort von Daniel Yule) sind von mir, zudem überprüfte und korrigierte ich die sturzvolle Übersetzung aus dem Französischen ins Deutsche. Die Mehrheit der 24 MitarbeiterInnen schrieb ihre Beiträge in der Sprache von Roland Collombin und nicht von Russi. Und weil ich also an diesem Standardwerk zum Skilauf in der Schweiz mitgewirkt habe, erlaube ich mir, hier aus dem Klappentext zu zitieren:

«Hedy Schlunegger, Bernhard Russi, Marie-Theres Nadig, Pirmin Zurbriggen, Erika Hess, Peter Müller, Vreni Schneider, Didier Cuche, Lara Gut, Marco Odermatt … die Schweizer Meisterinnen und Meister des alpinen Skilaufs gehören zu den herausragendsten Persönlichkeiten der Schweizer Sportgeschichte. Sie sind die Heldinnen und Helden einer kollektiven Vorstellung, die an grosse Wettkämpfe wie die Olympischen Spielen 1948 in St. Moritz und 1972 in Sapporo oder wie die Weltmeisterschaften 1987 in Crans Montana erinnert, aber auch an symbolträchtige Orte in der Schweiz, von Zermatt über St. Moritz, Davos oder Grindelwald bis Mürren. (…)

Die Erinnerungen gehen jedoch weit über die Bildschirme der nationalen Fernsehsender hinaus. Sie sind in persönlichen Erlebnissen verankert, die in der Skischule, im Familienskigebiet oder während des Skilagers gemacht wurden. Skilaufen ist Teil eines eingebetteten nationalen Erbes, das in die Praxis umgesetzt und von allen täglich gelebt wird. Skilaufen ist ein Nationalsport par excellence, was in der Schweiz ein wichtiges soziales Phänomen darstellt, aber auch ein politisches Projekt und ein kollektiver Wille. (…)

Von den ersten Skiclubs um 1900 über die Gründung eines nationalen Verbands im Jahre 1904 und die ersten Abfahrten mit Zeitmessung in den 1920er Jahren bis hin zur Bestätigung des weissen Goldes in den 1970er Jahren und schließlich zu den neuen klimatischen und ökologischen Herausforderungen um die Jahrtausendwende hat der Schweizer Skilauf eine einzigartige Geschichte: nämlich diejenige einer „Nation der Bergsteiger“ hin zu einer „Nation der Skifahrerinnen und Skifahrer“. Dieses sehr reichhaltig illustrierte Nachschlagewerk erzählt, was der Skisport mit der Schweiz gemacht hat!»

Eine ziemlich erfolgreiche Geschichte. Insofern passt es schon ein wenig, wie der folgende Satz anfänglich ins Deutsche übersetzt wurde. Es geht um die Übertragung der Lauberhornabfahrt und darum, wie Nationalheld Bernhard Russi ab 1989 die Strecke befuhr, mit einer Livekamera in der Hand, damit die Zuschauer vor dem Bildschirm die Realität noch näher erleben konnten. Das Original: „(…) dès 1989, par une caméra «embarquée» qui sera tenue — à la main dans les premiers temps — par Bernhard Russi en personne.“ Der (übersetzungstechnische) Unfall: „Für den Regisseur war es an der Zeit, dem Zuschauer ein echtes ‚Eintauchen‘ in die Rennbedingungen zu ermöglichen, und zwar durch Aufnahmen aus dem Hubschrauber und dann, ab 1989, durch eine ‚Bord‘-Kamera, die in der Anfangsphase von Bernhard Successful persönlich von Hand gehalten wurde.“ Russi wurde wohl zu „réussi“, also „erfolgreich“. Und das wiederum, weiss der Teufel warum, zu „successful“. Nice, nicht wahr?

Richtig nett sind aber die beiden Geschichten, die ich am letzten Samstag erlebte, als ich dieses „Buch der Woche“ schrieb. Erstens sah ich am Bildschirm, wie Marco Odermatt den Weltcup Riesenslalom in Val-d’Isère gewann, zum dritten Mal in seiner Karriere. Und zweitens fuhr ich mit dem Velo von der Länggasse ins Weyerli zur Eröffnung des kleinsten Skigebietes im Kanton Bern, ja vielleicht der Schweiz. Aus dem chemikalienfreien Abriebmaterial der Kunsteisbahn nebenan entstand auf einem Abhang im Freibadgelände eine Miniskipiste inklusive eines Zauberteppichs, eines begehbaren Förderbands. Das Ganze gesponsert vom Skigebiet Gstaad-Saanenland, inklusive Skischule. An diesem Samstag anwesend war Mike von Grünigen aus Schönried, der viermal den Riesenslalom von Val-d’Isère gewann.

Grégory Quin, Laurent Tissot, Jean-Philippe Leresche: Skiland Schweiz. Eine Geschichte. Weber Verlag, Editions Château & Attinger, Thun/Gwatt, Orbe 2023. Fr 69.-

Grégory Quin, Laurent Tissot, Jean-Philippe Leresche: Le ski en Suisse. Une histoire. Editions Château & Attinger, Orbe 2023. Fr. 69.-

Vernissage von „Skiland Schweiz. Eine Geschichte“ im Hotel Regina in Mürren am Freitag, 29. Dezember 2023, um 17 Uhr. Grégory Quin und Daniel Anker im Gespräch mit Luzia Stettler. https://www.reginamuerren.ch/events/skilauf-in-der-schweiz-eine-geschichte/

Schneespass im Weyerli: https://www.sportamt-bern.ch/schneespass-im-weyerli/

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