Was ist schöner als baden? Klettern – aber sicher.
«1996 – Die erste je durch eine Frau im Basler Jura entdeckte, eingerichtete und erstbegangene Route: Adriana Zanetti eröffnet Girls just wanna have fun 7b (Originalbewertung 6c+). Seither haben um Basel lediglich Martina Stutz, Martina Pongratz, Kaddi Lehmann und Rhea Schenker noch einmal die Bohrmaschine geschwungen.»
Ob man eine Bohrmaschine schwingt, sei dahingestellt… Tatsache ist, dass Girls viel seltener Kletterrouten einbohren und eröffnen als Männer. Im Basler Jura und anderswo. Umso verdienstvoller, wenn solches besonders hervorgehoben wird, wie im neuen Kletterführer „Basler Jura / Jura bâlois“ von Chris Frick und Carine Devaux Girardin. Für Interessierte an der Geschichte des Bergsteigens hat die Kletterhistorie im Basler Jura einige Überraschungen, viel Unbekanntes und bemerkenswerte Fotos bereit. Eingeweihte könnten wissen, dass 1986 Antoine le Menestrel die im Jahr zuvor von Wenzel Vodicka am Chuenisberg eröffnete Route Ravage rotpunkt kletterte und damit die zu ihrer Zeit schwerste Sportkletterroute der Welt.
Der neue SAC-Kletterführer beschreibt vollständig, detailliert und liebevoll alle aktuell für das Klettern frei zugänglichen Felsen (Routen sowie eine Auswahl Boulder). Die Region Baselland, Thierstein, Dorneck und Soyhiéres bildet eines der ältesten und wichtigsten Klettergebiete der Schweiz. Und auch wer im Basler Jura lieber das Wanderbein schwingt als sich durch senkrechte bis überhängende Felsen turnt, wird Spass daran finden, all die Routennamen zu lesen und oft die Geschichten dahinter. Im Gebiet Wasserschloss im Pelzmühletal warten neben Adriana Zanettis Meisterwerk zum Beispiel noch folgende Wege auf armkräftige WiederholerInnen: Alice im Wunderland, Hohle Gasse oder No woman, no cry.
Aber nehmen wir einen zweiten frisch erschienenen Kletterführer zur Hand und begeben uns ganz in französischsprachiges Gebiet. In „Alpes françaises du Nord – Escalade Plaisir“ stellt Hervé Galley 206 Routen in der Schwierigkeit 4a bis 6a+ inklusive bequemen Zugang vor. Plaisir eben. Von den Aiguilles Rouges bei Chamonix bis hinunter ins Devoluy-Massiv bei Gap. Wie wär’s mit der Route Crakoukass am Clocher du Brévent, vor 20 Jahren eröffnet durch Manu Méot mit Julie Balmat und Patrice Hanrard? Oder mit Allez-y Madame Mummery in der Südwand des Jallouvre? Mary Mummery übrigens ging in die Alpinismusgeschichte ein als Erstbegeherin des Südwestgrates des Täschhorns, besser bekannt als Teufelsgrat, zusammen mit ihrem Mann Albert Frederick Mummery und den beiden Saaser Bergführern Alexander Burgener und Aloys Anthamatten.
Wir setzen die alpinhistorische Kletterreise fort, auf der italienischen Seite des Mont Blanc. Da geht’s zur Sache, mamma mia! Lang und wild und hoch. Auch wenn es in Talnähe moderne Sportkletterrouten gibt, so verlocken doch die ganz grossen Routen an den 4000ern: die Gervasutti-Route in der Ostwand der Grandes Jorasses, der Pilone centrale del Freney am Monte Bianco di Courmayeur, Divine Providence am Grand Pilier d’Angle. Diese von Patrick Gabarrou und François Marsigny 1984 erstbegangene Route ist laut www.planetmountain.com „one of the absolute symbols of mountaineering“. Die erste freie Begehung durch eine Frau gelang im Juli 2016 der Schweizerin Nina Caprez, zusammen mit Merlin Benoit. Im Führer „Mont Blanc. Alle Felsrouten. Italienische Seite“ werfen Fabrizio Calebasso und Matteo Pasquetto einen Blick auf das rundum anspruchsvollste Klettergebiet der Alpen. Und zwar ohne Topos, sondern mit Fotos, auf denen die Routen eingezeichnet sind. Oft sogar mit zwei gleichen Fotos auf einer Doppelseite, links ohne, rechts mit den Routenverläufen… na ja. Geordnet sind die Anstiege nach Hütten, die teilweise auch Wanderern zugänglich sind. Die klettertechnischen Infos, die Übersetzung aus dem Italienischen und die alpinhistorischen Anmerkungen sind teils mager. Trotzdem: Wenn ich endlich wieder mal nach Courmayeur fahren werde, nehme ich diesen Führer mit.
Wir klettern weiter durch Italien, mit den Edizioni Versante Sud und ihrer Collana Luoghi Verticali. Zuerst machen wir ein paar Seillängen und Gipfel aus „Dolomiti new age. 130 ausgewählte Sportrouten bis 7a“ von Alessio Conz. Von der Brenta über die Sella-Gruppe bis zum Monte Agner wurden in den letzten Jahrzehnten schier unzählige neue Routen eröffnet, die einen Besuch unbedingt lohnen. Beispielweise Pordoi Plaisir in der 800 Meter hohen Westwand des Sass Pordoi. Am 12. Juli 1974 kletterte ich mit drei Gefährten auf der klassischen Route durch diese Wand. Ins Tourenbuch notierte ich: „Beim Quergang hatte ich Angst. Nach dem Kessel 4 schöne Seillängen (die schwierigsten der Tour IV+). Nach der Schuttterrasse 200 m hoher Riss. Wunderbare Spreizkletterei. (…) Auf dem Gipfel bestiegen wir die Seilbahn.“
Fern der Alpen begannen wir unsere Kletterreise. So wollen wir sie auch beschliessen. Mit Raffaele Giannettis Führer „Toskana und Elba. 91 Klettergärten zwischen Apuanen und Argentario“. Auf Seite 445 sehen wir Luiza Imaeva beim Klettern im Gebiet Fetovaia auf der Isola d’Elba. Trüge sie nicht Kletterschuhe und –gurt, würden wir sie Strandferien zuordnen. Warum eigentlich nicht? Nur baden ist doch schöner als klettern.
Chris Frick, Carine Devaux Girardin: Kletterführer Basler Jura / Jura bâlois. Baselbiet / Bâle-Campagne, Thierstein–Dorneck, Soyhières. SAC Verlag, Bern 2020, Fr. 59.-
Hervé Galley: Alpes françaises du Nord – Escalade Plaisir. Editions Olizane, Genève 2020, Fr. 39.-
Fabrizio Calebasso, Matteo Pasquetto: Mont Blanc. Alle Felsrouten. Italienische Seite. Edizioni Versante Sud, Milano 2020, € 39.-
Alessio Conz: Dolomiti new age. 130 ausgewählte Sportrouten bis 7a. Edizioni Versante Sud, Milano 2020, € 35.-
Raffaele Giannetti: Toskana und Elba. 91 Klettergärten zwischen Apuanen und Argentario. Edizioni Versante Sud, Milano 2020, € 38.-