Gehen wir! Nur lesend nach Norwegen, lesend und wandernd im Graubünden.
«Nicht den kürzesten, nicht den schnellsten, sondern den, der den geringsten Widerstand bot. Das war der Weg damals und das ist er heute: ein Richtungsweiser durch fremdes Gelände. Ein Garant dafür, dass sich derjenige, der ihn geht, zurechtfinden wird.»
Schreibt der norwegische Journalist und Buchautor Torbjørn Ekelund in seinem neuen Buch „Gehen. Eine Wiederentdeckung“, das heute Donnerstag, 29. Juli 2021, auf Deutsch erscheint. Die englische Übersetzung erschien vor gut einem Jahr unter dem Titel „In Praise of Path. Walking through Time and Nature“. Eine Wiederentdeckung ist Gehen insofern, dass seit der Corona-Epidemie mehr gegangen wird, erst recht vor der Haustüre und im eigenen Land. Gehen zwischen Buchdeckeln ist jedoch schon seit einigen Schritten en vogue; auch an dieser Stelle wurden ein paar Publikationen vorgestellt (https://bergliteratur.ch/gehen/).
In „Stiens historie. En reise til fots“ (wörtlich übersetzt: „Geschichte des Weges. Eine Reise zu Fuss“) erzählt Ekelund unterhaltsam und einfühlend von seinen verschiedenen Wanderungen durch Stadt und Land in Norwegen, diese verknüpfend mit alten selbst erlebten und allgemeinen Weggeschichten. Ja, mit der Geschichte des Gehens überhaupt; das ausgewählte Einstiegszitat knüpft an die Menschen der Steinzeit an, die sich in unbekannter Landschaft orientieren mussten. Uns geht es heute etwas leichter mit GPS, Smartphone und markierten Wegen.
„Ist der natürliche Weg die einfachste Strecke zwischen zwei Punkten, so ist der Wanderweg die schönste“, sagt (und hofft) Ekelund. „Der Zweck aller Wanderwege ist nicht praktischer, sondern ästhetischer Art. Sie sind bewusst so angelegt, dass sie durch eine besonders eindrucksvolle Natur und an Orten vorbeiführen, an denen der Wanderer eine Aussicht genießen kann.“ In meinem Exemplar von „Gehen“ unterstrich ich diese Sätze und setzte „hoffentl.“ dazu. Dass Wanderwege diese Anforderungen erfüllen, mag in Norwegen so sein. In der Schweiz (und im Fürstentum Liechtenstein) mit einem Wanderwegnetz von über 65‘000 Kilometern Wanderwege geht das leider nicht; da verlaufen gezwungenermassen (zu) viele markierte Abschnitte auf asphaltierten Wegen und Strassen und sind so nur praktischer Art. So geht das halt.
Und wo gehen wir? Hoffentlich auf guten Wegen. Die gibt es zum Beispiel genau dort, wo der Name auf schlechte hinweist. In der Viamala, in der „veia mala“, was übersetzt „schlechter Weg“ bedeutet. Also in dieser acht Kilometer langen Schlucht entlang des Hinterrheins zwischen Thusis und Zillis, dem berüchtigten Nadelöhr auf dem Weg von Chur zu den Alpenpässen Splügen und San Bernardino. Im Kultur- und Wanderführer „Passland Viamala. Höhen und Täler am Hinterrhein“ stellen Robert Kruker, Julian Reich und Andreas Simmen 20 gute und schöne, uralte und moderne Wege vor, von Reichenau-Tamins am Zusammenfluss von Vorder- und Hinterrhein bis zum Ursprung des Rein Posteriur. Diese Quelle kann allerdings nicht mehr genau bestimmt werden, da kein Gletschertor mehr offen steht, sondern nur noch mehrere Quellbäche über die einst von Eis bedeckte Ostflanke des Rheinwaldhorns herabrauschen. Den Paradiesgletscher gibt es noch, aber wer auf ihm gehen möchte, muss zuerst eine Geröllhölle überwinden. Überhaupt: Was sollen wir dort oben, wenn es weiter unten so gute Wege gibt? Wie den alten Knappenweg nach Innerferrera, oder den dortigen kürzlich eröffneten Waldweg. Er ist so neu, dass er auf map.geo.admin.ch noch nicht zu finden ist; dafür aber hier: www.graubuenden.ch/de/touren/waldweg-innerferrera#ueberblick. Auf geht’s – schöne Wanderferien im Passland Viamala.
Torbjørn Ekelund: Gehen. Eine Wiederentdeckung. Malik Verlag, Münschen 2021. € 18,00.
Robert Kruker, Julian Reich und Andreas Simmen: Passland Viamala. Höhen und Täler am Hinterrhein. Ein Kultur- und Wanderführer. Rotpunktverlag, Zürich 2021. Fr. 39.-
Buchvernissage am Samstag, 14. August 2021, um 17 Uhr im Buachlada Kunfermann in Thusis; Anmeldung unter info@buachlada-kunfermann.ch.