Der Berg rief. Für den Fotografen Ernst Baumann so stark wie für König Albert I., den Roi alpiniste.
«Gipfel winken, Firne leuchten.»
Tun sie immer noch, die beiden. Erst recht im Herbst, wenn schon der erste Schnee die hohen Zinnen verzaubert, Ahorne und Lärchen gelb glänzen und der Himmel blauseidig strahlt. Erst recht in der Coronazeit, wenn die nahen Berge die neue Ferne sind. Wenn also die Höger winken und die Restgletscher leuchten, dann heisst es für Bärgfründe und Stubenhocker: In die Berge! So lautet auch der Titel eines Buches über den Fotografen Ernst Baumann (1906–1985), der zahlreiche Bergbildbände und Bergfotolehrbücher verfasst hat. 1937 erschien in der Reihe „Die deutschen Bücher“, in der zwischen 1924 und 1940 knapp 70 Titel preiswerter Landschafts-Bildbände herauskamen, Baumanns „Gipfel winken, Firne leuchten“. Auf dem Titel zwei kernige Alpinisten, die auf sonnigem Fels von den Nagelschuhen zu den Kletterfinken wechseln (oder umgekehrt).
In den 1920er und 1930er erlebte der Alpentourismus einen Boom wie nie zuvor. Angetrieben durch den Erfolg der Bergfilme in den Kinos und die zunehmende Mobilität strömten immer mehr Menschen in die Berge. Ernst Baumann aus Bad Reichenhall war zu dieser Zeit einer der erfolgreichsten Fotografen in der Szene der deutschen Bergfotografen. Dabei richtete er den Blick nicht nur auf die Bergsteiger, sondern fotografierte die Berge in ihrer ganzen Vielfältigkeit. Seine Fotos zeigen Landschaften, Orte, Alpinisten, Touristinnen und einheimisches Brauchtum. Dazu fotografierte er an den Filmsets von Luis Trenker, machte auf den neuen Alpenstrassen Werbefotos für Autofirmen und zeigte eine sommerlich gekleidete Schöne beim Bewundern der frisch erbauten Autobahn. Dass seine Bildästhetik manchmal verdammt nah an der offiziellen zu jener Zeit lag bzw. liegt, kommt auch daher, dass sich die Nazi-Residenz Obersalzberg unweit Bad Reichenhall befand. Nach der Bombardierung im April 1945 veröffentlichte Baumann Broschüren, welche Hitlers Feriendomizil „before and after the destruction“ zeigen. Diesen Umständen gedenkend, sprechen uns Baumanns schwarzweisse Bergfotos aus den 1920er und 1930er Jahren aber immer noch an. Sie sind Zeugnisse aus einer Zeit, als die Berge zum Sehnsuchtsziel und die Menschen mobiler wurden. Wie gesagt: Ab in die Berge!
Genau das sagte sich damals einer, der in einem Land lebte, in dem höchstens Felsen winken, aber sicher keine Firne leuchten: der belgische König Albert I. (1875–1934). Am 17. Juli 1929 schrieb er Walter Amstutz, den er im Januar 1929 in Mürren kennen und schätzen gelernt hatte, folgenden Brief: „J’arriverai à Meiringen à 12,28 h. (train 2715) le dimanche 30. J’aimerais monter immédiatement à la Engelhornhütte. Je vous serai reconnaissant de prendre soin que personne ne soit au courant de ma présence.“ Am 31. Juli unternehmen der König der Belgier und der Mürrener Hotelierssohn ihre erste gemeinsame Klettertour: die Überschreitung von Klein und Gross Simelistock in den Engelhörnern.
Am 17. Februar 1934 stürzt Albert I. beim Soloklettern in Marche-les-Dames bei Namur (Belgien) ab. 1993 gründet Amstutz ihm zu Ehren die King Albert I Memorial Foundation. Das Anliegen der Stiftung ist die Auszeichnung von Personen oder Institutionen, die sich durch ihre Leistungen in einem Bereich, der mit den Bergen der Welt in Zusammenhang steht, herausragende und nachhaltige Verdienste erworben haben. Der Albert Mountain Award wird alle zwei Jahre in Form einer Goldmedaille vergeben. An den dreizehn Preisverleihungen in St. Moritz und Pontresina wurden von 1994 bis 2018 57 Personen und Institutionen ausgezeichnet. Die 14. Award Ceremony findet am Freitag, 25. September 2020, zum ersten Mal in Bern statt, im Alpinen Museum. Ausgezeichnet werden diesmal der Schweizer Musiker Christian Zehnder, die französische Zeitschrift «L’Alpe» und das schweizerische Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF. Mit der Wahl des urbanen Standorts ist auch eine Öffnung verbunden: Neu findet am Nachmittag eine öffentliche Publikumsveranstaltung statt.
Die jüngste Nummer von «L’Alpe» widmet sich dem Thema „Montagne durable?“. Wie immer ein prächtiges, kräftiges und dichtes Heft. Auf einem seitengross abgebildeten Gemälde von Gabriel Loppé aus den 1870er Jahren winken Gipfel, leuchten Firne wunderbar. Etwas weniger aber auf einem Foto von Éric Franceschi aus dem Jahr 2017: Es zeigt eine braun-graue Waldschneise im Skigebiet Seyne-les-Alpes, mit weisslichen Flecken frischen Kunstschnees.
Ernst Baumann: In die Berge! Alpine Fotografie der 1920er und 1930er Jahre. Herausgegeben von Alfred Büllesbach und Rudolf Schicht. Morisel Verlag, München 2019, € 24.90.
The King Albert I Memorial Foundation. Ausgabe 2020, 128 Seiten, mit allen 60 Preisträgern bis 2020, mit unbekannten Abbildungen, neu gefundenen Zeugnissen des Bergführers von Albert I. sowie von zwei Matterhorn Ladies, wovon eine seine Tochter ist. 20 Fr. Zu beziehen bei der King Albert I Memorial Foundation, c/o Daniel Anker, Freiestrasse 47, 3012 Bern, anker@sunrise.ch.
L’Alpe, N° 90: Montagne durable? Automne 2020, Fr. 26.00.
Albert Mountain Awards 2020: Preisträgerinnen und Preisträger im Gespräch – SLF und «L’Alpe». Freitag, 25. September 2020, ab 14 Uhr im Alpinen Museum der Schweiz in Bern. Eintritt frei. Wichtig: Anmeldung mit Telefonnummer an info@alpinesmuseum.ch (Betreff: Albert Mountain Awards) oder telefonisch: 031 350 04 42.
Hallo,
vielen Dank für den tollen Bericht. Weiter so!
Liebe Grüße,
Christoph