Niederländische (Wein-)Berge

Vier ganz unterschiedliche, teils atemberaubende Bergbücher aus den Niederlanden. Lekker lezen en wandelen!

«Hier ist der Gipfel, und ich muss noch höher, weiter.

Eins. Zwei. Drei Schritte und ausruhen, atmen. Eins. Zwei. Drei Schritte näher am Ziel.

Als Erster oben – was sonst. Früher aufbrechen als der Rest, härter pushen, mehr Schmerz aushalten, klüger sein. Meine Rechnungen gehen immer auf. Na dann, herzlichen Glückwunsch: Ich, der Fanatiker, habe wieder mal das Nichts erreicht.

Der Berg ist fünfunddreißig Millionen Jahre alt, ein Zufall zwischen zwei Erdplatten, und wächst fünf Millimeter pro Jahr – noch immer, jeden Tag wächst der Berg, während ich schrumpfe.»

Zitat von der zweiten Seite des preisgekrönten niederländischen Romans „Zuurstofschuld“ (Sauerstoffschuld) von Toine Heijmans, auf Deutsch als „Der unendliche Gipfel“ erschienen. Der Ich-Erzähler mit dem gewagten Namen Walter Welzenbach erreicht zum zweiten Mal in seinem Leben den Cho Oyu (8188 m) und blickt von hoher Warte auf sein Leben als Alpinist zurück. 32 Seillängen umfasst das Leben bzw. das Buch, von 8188 m bis hinunter auf 3 m irgendwo in den Niederlanden, das himmeltraurigböse Abschiedskapitel über seinen langjährigen Kletterpartner Lenny, der eine andere Karriere eingeschlagen hat. Zwei Kapitel sind mit Namen überschrieben: das 11. mit Alison Hargreaves (schottische Extrembergsteigerin, die solo und ohne künstlichen Sauerstoff die höchsten Gipfel bestieg und 1995 beim Abstieg vom K2 starb), das 21. mit Toni Kurz (er starb als letzter der Viererseilschaft, die 1936 beim Versuch einer Durchsteigung der Eiger-Nordwand umkam).

Ich fragte Rainer Rettner, den besten Kenner der Eiger-Geschichte, zum Kurz-Kapitel. Hier die Antwort: „Der Autor hat richtig gut recherchiert, da gibt es keine Zweifel. Ein paar kleine Fehler hat es trotzdem, im Schwalbennest wurde nicht biwakiert, und die Wengener Bergführer kamen zur Rettung nicht erst im Morgengrauen. Aber er hat schon viele Details eingearbeitet, die man sonst nicht lesen kann. Und spannend ist es auch. Kompliment an den Verfasser!“ Dem kann ich mich nur anschliessen. Das Buch ist wirklich spannend und gut geschrieben, und dem Autor gelingt es, das ganze, schon oft angegangene Thema zu den Gründen, warum wir bergsteigen, tief auszuloten und in neue Sätze und Gedanken zu packen. Wenn, ja wenn – und jetzt riskiere ich halt (wieder mal), als Besserwisser im Schneesturm zu stehen. Wenn Heijmans schreibt, dass Ludwig Hohl – ein Zitat von ihm ist das erste Motto im Roman – kein Bergsteiger war, so ist das schlicht falsch. Störender als ein solches Detail ist leider manchmal die Übersetzung: Der Begriff „klettern“ wird auch dort gebraucht, wo man im Deutschen höher steigt, ohne die Hände zu gebrauchen; ein Topoführer ist keine „topographische Wanderkarte“; unter „überhängenden Schneefeldern“ möchte ich weder auf- noch absteigen. Die Dolomiten bestehen nicht aus „Granit“, der berühmte Grat am Matterhorn heisst nicht „Zmurrgrat“. Schade. Trotzdem: „Der unendliche Gipfel“ ist sehr lesenswert. Und das Cover erst noch erdenschön.

So ist auch – und jetzt steigen wir hinab auf Meereshöhe, in die niederländische Stadt Zwolle – die dortige Buchhandlung Van der Velde. Sie befindet sich im Hauptschiff einer gotischen Kirche, und im Chor kann man vorzüglich essen. Nur twee boeken kaufte ich. In „The soul of mountaineering. Past and present on Europe’s most appealing peaks“ nimmt uns der niederländische Alpinist Martin Fickweiler mit starken Fotos und interessanten Texten auf folgende Gipfel mit: Mont Aiguille, Triglav, Mont Blanc, Grossglockner, Jungfrau/Mönch/Eiger, Hoher Dachstein, Grand Vignemale, Weisshorn, Matterhorn, Drei Zinnen, Inaccessible Pinnacle, Hvannadalshnúkur, Naranjo de Bulnes und Stetind. Kennen Sie alle? Die „unbesteigbare Spitze“ erhebt sich auf der schottischen Insel Skye, und der Berg mit dem schwierig auszusprechenden Namen ist der höchste von Island. Man kann sich fragen, warum es kein Gipfel aus dem Elbsandsteingebirge, der Hohen Tatra oder natürlich dem Kaukasus auf Fickweilers Liste geschafft hat. Aber ich möchte nicht schon wieder frieren.

Das zweite Buch, das ich in der Buchhandlungskirche erstand, hat einen verblüffenden Titel: „Het grote nederlandse Wijnwandelboek“. Überhaupt ein holländisches Weinwanderbuch, und dann gleich noch das grosse! Aber warum sollten zwischen Maastricht und Amsterdam nicht Weinberge entstehen, erst recht im Klimawandel? 25 Touren im ganzen flachen Land beschreibt der Führer, mit vielen Fotos, mit Tipps zu Sehenswürdigkeiten unterwegs, mit Karten, mit allen touristischen Infos – und selbstverständlich mit den nötigen önologischen Hinweisen. Die Wanderungen sind 5 bis 15 Kilometer lang, und sie enden alle „bij een gelegenheid waar je een lecker glas wijn kunt drinken“. In diesem Sinne: Gezondheid! Proost!

Wie Ihr wohl gemerkt habt, übe ich mich bereits mit ein bisschen Niederländisch. Aus gutem Grund. Maria Mercx wohnt in Hilversum und beherbergt in ihrem Haus, dem „Horu Heim“, die grösste Matterhorn-Sammlung; ich konnte sie vor Wochenfrist bestaunen. Nun schickt sie mir ein ganz besonderes Jugendbuch: De Hobby Club op Avontuur in Zwitserland. Avontuurlijke en technische Roman voor Jonge Mensen“. Auf dem Cover drei junge Männer, die das Horu, gesehen von der italienischen Seite, mit technischen Aufnahmegeräten einfangen wollen, und eine Frau, die einem Segelflieger mit der Schweizer Fahne auf dem Seitenruder zuwinkt.

Toine Heijmans: Der unendliche Gipfel. Mairisch Verlag, Hamburg 2023. € 24,00.

Guido Derksen: Het grote nederlandse Wijnwandelboek. ANWB, Den Haag 2022. € 26,00.

Martin Fickweiler: The soul of mountaineering. Past and present on Europe’s most appealing peaks. Dato, 2023. € 40,00.

Leonard de Vries: De Hobby Club op Avontuur in Zwitserland. Avontuurlijke en technische Roman voor Jonge Mensen. 1948.

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