Drei (auto)biografische Bücher über Alpinisten, die von 1933 bis 1980 für ganz unterschiedliche Schlagzeilen am Berg gesorgt haben.
«Ich faßte den waagrechten Riß so weit draußen als möglich, besser gesagt: ich steckte die Fäuste und Arme in diesen – und zog mich auf. Gleichzeitig versuchte ich, die Fußspitzen im Riß zu verklemmen. So arbeitete ich mich – wie eine Fliege an der Zimmerdecke! – unter dem Dach hinaus. Ich hatte nicht viel Zeit, das wußte ich, beeilte mich daher sehr, in die Senkrechte zu kommen. Es gelang mir mit großer Kraftanstrengung und dank meiner guten Armkraft. Franz hörte ich noch heraufrufen: „Du bist ja verrückt! Das ist doch kein Klettern mehr! Das ist ja Akrobatik!“»
Eine der ersten Stellen mit der Kletterschwierigkeit 7 bzw. VII in den (Schweizer) Alpen. Die Skala reichte damals nur bis 6+/VI+, aber was der Vorarlberger Alpinist Ernst Burger (1910–1999) am 20. August 1933 in der Südwand des Grossen Drusenturms im Rätikon kletterte, war eben eindeutig schwieriger. Die Überwindung des Dachs, ohne Hakenhilfe, wird im SAC-Kletterführer „Graubünden“ von Thomas Wälti nach der französischen Skala mit 6b bewertet, und das ist nach der UIAA-Skala eben eine glatte Sieben.
„Es war die Schlüsselstelle!“ schreibt Ernst Burger in seinem Bericht über diese erste Durchsteigung der riesigen Südwand des Grossen Drusenturms, die er zusammen mit Karl Bizjak und Franz Matt unternommen hat. Nachzulesen nun im Buch seines Enkels Jürgen Burger: „Der Pionier des 7. Grades. Erstbegehungen und 91 Viertausender des Vorarlberger Alpinisten Ernst Burger.“ Der Burgerweg, wie die Route genannt wird, wird zu Beginn des Buches in drei Kapiteln abgehandelt. Dann folgt die „Sturmfahrt auf den Montblanc“ von Ostern 1937, eine wilde und mit viel Durchhaltewillen gut geglückte Skitour – der viele Neuschnee hätte die fünf zähen Burschen auch mitreissen können. Tolle schwarzweisse Fotos von Kurt Liebewein bereichern den lesenswerten Bericht. Leider hat sich ein Fehler in einer Legende eingeschlichen (wie bei ein paar anderen Fotos auch): Vom Refuge des Grands Mulets sieht man die Berner Alpen nicht. Da lesen wir einfach darüber hinweg und folgen vom Sofa aus gemütlich all den andern grossen Burger-Fahrten auf viele Viertausender der Alpen.
Bleiben wir grad in den Westalpen. Diesmal mit den Huber-Brüdern. Aber nicht den heute berühmten Huberbuam, den bayerischen Profibergsteigern Alexander und Thomas Huber. Sondern mit Franz, Adi und Lois Huber aus der Steiermark. Über ihre Heimat hinaus bekannt wurden Adi und Franz sowie Hubert Sedlmayr im Januar 1962, als sie beim Versuch, die Matterhorn-Nordwand erstmals im Winter zu durchsteigen, wegen Schlechtwettereinbruchs 200 Meter unter dem Gipfel auf den Hörnligrat ausweichen mussten. Das zeitweise ungewisse Schicksal der Österreicher sorgte in der Folge für reichlich Turbulenzen, Zermatter Bergführer verbrannten gar den „Blick“, der provokant getitelt hatte: „Zwei Tage täuschte Zermatt die bangende Welt“. Nachzulesen nun im Buch der österreichischen Publizistin Gundi Jungmeier: „Berg- und Talgeschichten. Franz, Adi und Lois Huber aus Palfau.“ Das Buch erzählt Geschichten aus dem Leben von Franz (geb. 1935), Adolf (1939–2015) und Alois (geb. 1942), von der Kindheit im Krieg bis zu hochalpinen Abenteuern im Hindukusch und Himalaya. Wichtigster Höhepunkt war die Erstbesteigung des Dhaulagiri II (7751 m). Am 18. Mai 1971 standen Adi Huber, Jangbu Sherpa, Adi Weissensteiner und Ron Fear auf dem Gipfel des zweithöchsten Gipfels der Dhaulagiri-Kette. Franz hatte die Expeditionsleitung übernommen. Viele Fotos schmücken das Buch. Auch sie erzählen Geschichte(n), zum Beispiel von der Ausrüstung: Wie ging man vor rund 50 Jahren zu Berg – diese Anzüge, Rucksäcke, Zelte! Und doch gilt immer noch, was Adi Huber nach der nicht geglückten Besteigung des Dhaulagiri (8167 m) in sein Tourenbuch notierte: „Der schönste Gipfel für uns hier ist, dass alle lebend zurückkamen.“
Das tat der französische Bergführer und Arzt Nicolas Jaeger nicht. Am 25. Mai 1980 steigt er solo in die undurchstiegene, 3000 Meter hohe Südwand des Lhotse (8516 m) ein; der direkte Aufstieg zum Hauptgipfel scheint ihm zu gefährlich, weshalb er den Nebengipfel Lhotse Shar (8382 m) anpeilt. Drei Tage später verschwindet Jaeger, nachdem er zum letzten Mal in einer Höhe von fast 8200 Meter gesehen worden ist. Die Höhe wird Jaeger kaum zugesetzt haben, denn damit kannte er sich bestens aus. Vom 27. Juli bis zum 27. September 1979 lebte er allein in 6700 Meter Höhe in Peru unter dem Gipfel des Huascarán, um an sich selbst die menschliche Physiologie in grosser Höhe zu studieren. Er war auf der Suche nach einer Art Superakklimatisierung, die durch längere Aufenthalte in der Höhe ermöglicht wird. Nachzulesen im Buch der französischen Schriftstellerin Virginie Troussier: „L’homme qui vivait haut.“ Im letzten, mit „Une vie“ überschriebenen Kapitel stellt sie Mutmassungen über das Ende von Nicolas Jaeger an: „A-t-il été emporté par une avalanche? A-t-il fumé ses cigarettes en attendant la fin? Il en avait sûrement pris avec lui, comme toujours, il en aurait grillé une au sommet. Tout est possible. La seule certitude, c’est la perte tragique d’un visionnaire qui a osé s’attaquer à l’impossible.“
Jürgen Burger: Der Pionier des 7. Grades. Erstbegehungen und 91 Viertausender des Vorarlberger Alpinisten Ernst Burger. Buchschmiede, Wien 2023. € 16,90 (Softcover), € 28,90 (Hardcover), www.buchschmiede.at
Gundi Jungmeier: Berg- und Talgeschichten. Franz, Adi und Lois Huber aus Palfau. Universitätsdruckerei Klampfer, Graz 2023. € 28,00. www.jungmeier.or.at
Virginie Troussier: L’homme qui vivait haut. Éditions Guérin, Chamonix 2023. € 19,90. www.nicolas-jaeger.com