Pickel, Seil & Mauerhaken – und Soutane

Zwei priesterliche Bücher, die sich mit besonderen Geschichten des Alpinismus befassen. Nur klettern ist gefährlicher als lesen und beten.

«Der Yogi Milarepa ist meine Lieblingsfigur aus den Bergen. Er lebte vor knapp tausend Jahren im Hochland Tibets, meditierte am Fuße des Chomolungma (der tibetische Name für den Mount Everest) und am heiligen Berg der Tibeter, dem Kailash. Seine Gedichte und Gesänge sind Weltliteratur. In seiner Reduktion auf das Wesentliche bleibt Milarepa für mich Anreger und Vorbild zugleich. In allen meinen Museen kommt er zur Geltung: als Bronzefigur, auf Thangkas, den alten tibetischen Malereien, in Stein gemeißelt.»

Dieser uralte Milarepa ist die etwas überraschende Nummer 29 im jüngsten Buch von Reinhold Messner: „Pickel, Seil & Mauerhaken. 33 Objekte, die den Alpinismus geprägt haben.“ Der wohl berühmteste noch lebende Bergsteiger hat die Objekte aus der Geschichte des Alpinismus und der Auseinandersetzung mit den Bergen im Laufe der Jahre gesammelt. Sie sind ausgestellt im Messner Mountain Museum, das sich auf sechs Standorte in den italienischen Provinzen Südtirol und Belluno verteilt; der siebte Teil des MMM wird aktuell auf dem Gipfelplateau des Helm/Monte Elmo in der Nähe von Sexten errichtet. Eine exklusive Auswahl seiner Erinnerungsstücke hat Reinhold Messner nun in einem handlichen Buch zusammengestellt: Sie erzählen auf anschauliche Weise von der Entwicklung des traditionellen Bergsteigens und von Kunstwerken, die den Sammler in seinem Leben geprägt haben. Da hängt die Tasche des Matterhorn-Erstbesteigers Edward Whymper, dort liegt der Biwaksack des Matterhorn-Nordwand-Solodurchsteigers Walter Bonatti, da steckt der U-Haken von der Schlüsselstelle am Mittelpfeiler des Heiligkreuzkofels, der schwierigsten Kletterstelle seines Lebens, dort steht der rote Daunenanzug, mit dem sein Träger 1978 auf dem Everest stand, ohne künstlichen Sauerstoff. Sechs der 33 ausgewählten Objekte haben eigentlich nichts mit der Geschichte des Alpinismus am Hut, wie eben der Yogi. Dafür fehlen entscheidende alpinistische Objekte, wie Karabiner oder Kletterschuhe. Und wenn ich schon am Bemängeln bin: Martin Meier und Rudolf Peters (sein Eisbeil hängt im MMM Ortles) stiegen bei der Erstdurchsteigung der Nordwand der Grandes Jorasses am 29. Juni 1935 nicht auf der Pointe Marguerite, sondern auf der Pointe Croz aus.

Die sechs Gipfel der Grandes Jorasses, die hoch über dem italienischen Val Ferret liegen, sind alle nach Personen benannt; die Pointe Croz erinnert an den Chamonix-Bergführer Michel Croz, der bei der Erstbesteigung des Matterhorns zu Tode kam. Ebenfalls zahlreiche Personengipfel sind in einem anderen Seitental der Valle d’Aosta zu finden: in der Valpelline, die sich von der Passstrasse zum Grand Saint-Bernard bis zur Dent d’Hèrens beim Matterhorn erstreckt. Über diesem Tal erheben sich die Pointe Gorret, die Pointe Chanoux, die Becca Bovet, die Becca Bovard, die Tête Bonin, die Pointe Gontier, die Pointe Duc und die beiden Punta Henry, alle benannt nach Priestern, die an ihnen und an andern Valpelline-Gipfeln durch (Erst-)Touren und Berichte Spuren hinterlassen haben. Joseph-Marie Henry (1870-1947), so heisst es in „Curés alpinistes. Des Alpes à la Valpelline“ von Bernard Marnette, „est indéniablement le curé par excellence de la Valpelline“, und darum wird er gleich mit zwei Gipfeln geehrt. Die Geistlichen in diesem Alpental verbanden also ihre religiösen und gesellschaftlichen Verpflichtungen mit bergsportlichen Aktivitäten, die manchmal von der Obrigkeit nicht gern gesehen wurden, insbesondere dann nicht, wenn die Soutane, das knöchellange Obergewand, im Rucksack verschwand. Aber für die Kletterei zum Beispiel an der Punta Henry war diese katholische Uniform nicht wirklich geeignet. Bernard Marnette schildert, wie die Prêtres montagnards Glauben und Gipfelambitionen verbanden und rechtfertigten. Und zeigt auch, wie sich Bergsteigen und Beten durchaus miteinander verknoten können. Die Bedeutung des ersten Bergsteiger-Priesters hätte er allerdings deutlich höher stellen müssen: Der Bündner Placidus a Spescha (1752-1833) war nicht nur Benediktinerpater, sondern auch Alpinist, Kartograph, Geograph, Natur- und Sprachforscher. An ihn erinnert der Piz a Spescha (3109 m) oberhalb des Glatscher da Medel. Gibt es eigentlich auch eine Punta Messner?

Reinhold Messner: Pickel, Seil & Mauerhaken. 33 Objekte, die den Alpinismus geprägt haben. Bergwelten Verlag, Salzburg 2023. € 22,00.

Bernard Marnette: Curés alpinistes. Des Alpes à la Valpelline. Éditions Nevicata, Bruxelles 2023. € 19,00.

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