Unglaubliche Bergwunder

Zum heutigen Welttag des Buches zwei besondere Bücher, darin sich noch andere Publikationen verstecken.

„Wie hoch die Berg seyen?“

Das ist die 97. von 189 Fragen. Die 99. lautet so: „Ob die Gipfel der Bergen beständig mit Schnee bedeckt?“ Bleiben wir noch grad in der Höhe: „Zu was vor Nutzen in den Hauβhaltungen oder Arzney man könne sich des Gletschers bedienen?“ (Frage 35). Es geht aber in diesem berühmten Fragebogen von 1699 eben nicht nur um Berge, sondern auch um die Menschen, die dort leben: „Was für Instrument gebrauchen die Einwohner der Alpen zur Erleichterung des Auf- und Abstieges über die Gebirg und Felsen?“ (Frage 45). Frage 122 betrifft vor allem die weibliche Bergbevölkerung: „Ob es auch Weiber gebe, so über 2 und 3 Kinder auf einmahl oder 20 und 30 ihr Lebtag gebohren?“

Was für Fragen! Autor der Fragebogens zur „Erforschung natürlicher Wunderen, so sich im Schweitzer-Land befinden“, ist der Zürcher Stadtarzt und Naturforscher Johann Jakob Scheuchzer (1672–1733). Er wollte von seinen Gewährsleuten, denen er die Fragen stellte, viel wissen, von der Beschaffenheit der Schneekristalle über das Wildtierfleisch und die Milchwirtschaft bis zu geografischen, geologischen und gynäkologischen Aspekten. Zu finden ist der Fragebogen von 1699 inklusive Einladungsbrief in dieser Publikation: „Unglaubliche Bergwunder“. Johann Jakob Scheuchzer und Graubünden. Ausgewählte Briefe 1899–1707. Einer der Briefschreiber war der Bündner Pfarrer Johannes Leonhardi, der 31 der 189 Fragen kommentierte, so beispielsweise diese zu den Murmeltieren: „ihr fleisch und schmehr oder fete auch gar gesund, und den Schwangeren weiberen, die geburth zu facilitiren.“ Scheuchzer selbst bereiste mehrere Male die „unglaublichen bergwunderer des pundterlandts“.

Die Antworten auf die 189 Fragen flossen dann auch in die Werke von Scheuchzer ein, so in seine dreibändige „Helvetiae Historia Naturalis oder Natur-Historie des Schweitzerlandes“ (1716 – 1718). Im Band zur „Hydrographia Helvetiae“ lesen wir folgendes: „Das Gurnigel-Bad. Ligt 6. Stund von Bern, auf einem Berg, ist sauerlechten Vitriolischen Geschmacks, wird deβwegen nicht nur gebadet, sondern auch getrunken, und nacher Bern abgeführt, thut gute Dienste dem schwachen Magen, in der Gliedersucht, und anderen dergleichen Krankheiten.“ Sollte es vielleicht „gern abgeführt“ heissen? Wie auch immer: Mehr zu diesem einst weltberühmten Ort im prächtigen Bildband „Gurnigelbad. Die Stadt im Walde.“ Autor Christian Raaflaub weiss alles zum ehemals grössten Hotel der Schweiz, kennt die Schriften, Fotos, Prospekte und Menukarten, hat Anfänge, Blütezeit und Niedergang auf gut 330 Seiten dokumentiert. Das waren noch Zeiten, als es direkte Eisenbahnwaggons von Calais bis Thurnen im Gürbetal gab, von wo es dann per Kutsche ins Heilbad mit seinen 700 Zimmern ging. Zu finden sind im Bildband auch Zitate aus dem 1883 publizierten Buch „Briefe vom Gurnigel nebst praktischen Notizen in deutscher und französischer Sprache“ von Albert Schüler:

„Welch bunte Völkermenge,
Welch Gewoge und Gedränge
Auf Gurnigels Höhe hier!“

„Unglaubliche Bergwunder“. Johann Jakob Scheuchzer und Graubünden. Ausgewählte Briefe 1899–1707. Herausgegeben von Simona Boscani Leoni unter Mitarbeit von Jon Mathieu und Bärbel Schnegg. Institut für Kulturforschung Graubünden, Reihe cultura alpina, Band 9. Verlag Bündner Monatsblatt, Chur 2019, Fr. 32.-

Christian Raaflaub: Gurnigelbad. Die Stadt im Walde. Weber Verlag, Thun 2018, Fr. 49.-

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