Was Steine und Sterne erzählen

Zwei Bücher, mit denen sich die (geologische) Welt der Berge besser verstehen lässt. An ganz unterschiedlichen Orten in Europa.

«Wir verabreden uns für einen Augustabend in den Cevennen, einer der schönsten Regionen Frankreichs, um nächtliche Panoramen zu betrachten. Carol Reboul und ihr Lebensgefährte haben mich dazu eingeladen, in der Abenddämmerung den 1421 Meter hohen Mont Bougès zu besteigen. Wir treffen uns auf dem Col du Sapet und wandern los, als die Sonne bereits tief am Himmel steht. Wir folgen Granitpfaden, die von krummen Buchen gesäumt sind, und unterhalten uns dabei über die Nacht. Im Vergleich zur Gâtine, wo ich herkomme, gibt es hier Chirons oder Granitblöcke im Überfluss. Die Gegend muss reich an Geschichten sein.»

Ist sie. Und ziemlich unbekannt. Das kleine Gebirgsmassiv des Bougès, auch Montagne du Bougès genannt, wird im Norden vom Massiv des Mont Lozère, im Südwesten vom Massiv des Mont Aigoual und im Westen von der Causse de Sauveterre eingerahmt. Der höchste Gipfel ist das Signal du Bougès. Die Gâtine Poitevine, wo die Autorin Blandine Pluchet herkommt, kennt man hierzulande auch nicht unbedingt. Doch auch dort warten spannende Geschichten, mit dem Felsenmeer bei Largeasse und offenbar dem Nabel der Welt – Orte, die auf der Übersichtskarte im Sachbuch der französischen Physikerin zu finden sind, wie das Schneefernerhaus an der Zugspitze oder das Jungfraujoch. Das Buch heisst „Die Vermessung der Berge. Eine Wanderung zur Entdeckung der Weltgesetze“, der Originaltitel lautet nur leicht bescheidener „Le grand récit des montagnes. Une randonnée scientifique à la découverte des lois du monde“. Die wissenschaftliche Wanderung findet, mit Ausnahme der nächtlichen Tour aufs Signal du Bougès, mehr symbolisch statt. Blandine Pluchet begibt sich an unterschiedlichen Stationen und mit verschiedenen Experten auf Spurensuche in Europa, wo zu verschiedenen Themen wie Geologie, Meteorologie, Glaziologie, Ozeanologie, Astrologie etc. auf höchstem Niveau geforscht wird, im Zeitalter der menschgemachten Klimaerwärmung aktueller denn je.

Darüber berichtet Blandine Pluchet, spannend und einfühlsam, manchmal auch geschwätzig, zuweilen für Laien knapp verständlich, ab uns zu auch banal. Den Ausflug aufs Signal du Bougès schliesst sie mit diesem Satz ab: „Die Dunkelheit ist voller Leben.“ Stimmt natürlich. Andere Aussagen sind leider zu revidieren: So ist der Strahler Jacques Balmat nicht „der erste französische Alpinst überhaupt“. Erstens stand er am 8. August 1786 nicht alleine auf dem Mont Blanc, sondern zusammen mit Michel-Gabriel Paccard (er bleibt freilich unerwähnt), und zweitens bestiegen Jean-Marie Couttet und François Guidet bereits am 17. September 1784 den Dôme du Goûter (4304 m) – die erste Besteigung eines Viertausenders überhaupt. Und noch eine Kritik: Die in Magenta gehaltenen Illustrationen von Laëtitia Locteau sorgen zwar für eine schöne Einheitlichkeit im Buch, strahlen teils aber eine gewisse Beiläufigkeit aus. Im Nachkapitel mit dem Signal du Bougès sieht man ein paar Baumsilhouetten und ein paar Sterne am Himmel, im Text nebenan ist von der Scheibe von Nebra die Rede, der ältesten bisher bekannten Darstellung des Himmelsgewölbes. Wie die wohl aussieht? Zum Glück gibt es Wikipedia.

Genug gelästert. Ihr habt bestimmt gemerkt, dass mich die „Wanderung zur Entdeckung der Weltgesetze“ nicht vom Sofa gerissen hat. Das tut die „Geologische Wanderung vom Gornergrat zum Riffelberg“ schon eher. Der Titel dieses rucksacktauglichen Führers ohnehin: „Zermatt: Safari im Meer“. Diese Wanderung habe ich schon ein paar Mal gemacht, doch nun muss ich sie wiederholen, Schritt für Schritt und Stein für Stein, weil die Geologen Michel Marthaler und Micha Schlup in Zusammenarbeit mit Nicolas Kramar mit vielen Fotos, Tabellen, Plänen und Karten erzählen, wie die Alpen entstanden sind, wo der Meeresboden wie gefaltet wurde, warum die Felsen so verschieden farbig leuchten. Selbstverständlich wird auch das Matterhorn, dieser Fixpunkt beim Bergabgehen zum Riffelberg, Schicht um Schicht analysiert. Der Cervino ist der stärkte Kontrast zum Signal du Bougès: hoch und spitzig der eine Gipfel, tief und rund der andere.

Blandine Pluchet: Die Vermessung der Berge. Eine Wanderung zur Entdeckung der Weltgesetze. Bergwelten Verlag, Wals bei Salzburg 2023. € 28,00.

Michel Marthaler, Micha Schlup: Zermatt: Safari im Meer. Geologische Wanderung vom Gornergrat zum Riffelberg. Éditions Loisirs et Pédagogie, Le Mont-sur-Lausanne 2023. Fr. 18.-

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