Eine neue Biografie von Albert Heim wäre ziemlich dringend, hier hat er wenigstens einen neuen Auftritt in einer Fiktion zwischen Tödi und Eiger und dem Ende der Welt. Heim war übrigens ein passionierter Skifahrer, nachzulesen in der noch in den Sternen stehenden Biografie und hoffentlich noch vor dem Ende der Welt.
„Wie gut kannte ich ihn eigentlich? Jens und ich waren in vielerlei Hinsicht Gegenpole, aber unterwegs lösten sich die Unterschiede zwischen uns auf. Wir stärkten uns gegenseitig, bekamen beide beim Wandern einen klaren Kopf. Jens führte ein Nomadenleben – wenn er von einem Ort genug bekam, zog er zum nächsten. Dann schickte er mir eine Postkarte, auf der jedes Mal dasselbe stand: ‚Wir sehen uns am Ende der Welt wieder.‘“
Und dann schreibt er keine Postkarte mehr, dieser Jens, mit dem die Ich-Erzählerin im Roman „Wir sehen uns am Ende der Welt“ der holländischen Schriftstellerin Miek Zwamborn im Tödi-Gebirge unterwegs war, vielleicht auch auf dem Tödi selbst, das wird nicht so ganz klar, sicher jedenfalls in der Planurahütte. Weg ist er, der Wandergefährte und Freund. Und die Frau macht sich auf den Weg, sucht Orte auf, an denen sie zusammen gewesen sind, will gar auf den Muttler steigen, „um nachzusehen, ob unsere Namen noch im Gipfelbuch standen. Als ob das etwas nützen würde.“
Natürlich nicht. Jens bleibt verschwunden, seine Spuren verlieren sich immer mehr zwischen Tödi, Muttler und Eiger. Dafür findet die Erzählerin diejenigen von Albert Heim, dem grossen Schweizer Geologen. Er war schon allgegenwärtig zu Lebzeiten, wirft seinen Schatten aber auch auf Nachgeborene. „Weil ich unbedingt den Ort sehen wollte, an dem Heim und Marie sich wiedergefunden hatten, fuhr ich zum Katzensee.“ Sie findet Trost im Leben des berühmten Mannes. Statt Postkarten mit dem ewig gleichen Text – oder gar keine mehr – zu erhalten, haftet sich die Hauptfigur an das konkrete Leben eines berühmten Mannes, erzählt es Schritt für Schritt.
Jens verloren, Heim gefunden. Bei der Reise auf der Suche nach der verlorenen Begleitung findet die Erzählerin – ob es die Autorin selbst ist? – eine neue Heim-at. Nicht bloss in der Sprache, sondern auch mit Bildern. „Wir sehen uns am Ende der Welt“ ist eine textliche Reise in die Vergangenheit und zugleich eine mit Fotos und Illustrationen. Collage-artig bereichern sie den Text. Wohl nicht zufällig setzt Miek Zwamborn auf Seite 50 mit dem Hinweis auf Max Frisch „Der Mensch erscheint im Holozän“ ein (über)deutliches Zeichen.
Da und dort allerdings kann man der Autorin nicht ganz folgen bei ihrer Spurensuche durch die Alpen. Die Tour auf den Tödi bleibt irgendwie im Tiefschnee stecken, Heim als Skipionier kann ich mir nicht vorstellen (ich kann mich aber auch tief täuschen). Was kurz über das Skibergsteigen geschrieben steht, steht so neben der Spur wie die Steigeisen, die zum Schlagen von Stufen gebraucht würden. Wird alles unwichtig am Ende der Welt.
Vor zwei Jahren erschien der Roman „Im Griff“ des Holländers Stephan Enter, darin auch tüchtig durch alpine Erinnerungslandschaften gewandert wird. Hier die Fortsetzung mit seiner Landsfrau Miek Zwamborn, die acht Jahre lang im Engadin lebte und nun wieder in Amsterdam zu Hause ist. Wir freuen uns auf weitere literarische Berg-Werke aus dem Flachland.
Miek Zwamborn: Wir sehen uns am Ende der Welt. Nagel & Kimche, München 2015, Fr. 31.90.
Die Buchvernissage von Miek Zwamborns „Wir sehen uns am Ende der Welt“ findet am Samstag, 7. November 2015, um 17 Uhr an der BergBuchBrig statt. Gleich anschliessend stellen Caroline Fink und Marco Volken ihr herausragendes Buch „Die Viertausender der Schweiz“ vor. Wir sehen uns also nicht am Ende der Welt, sondern im Zeughaus Kultur in Brig-Glis. www.bergbuchbrig.ch