2023 – 2024

Die Jahrbücher des Alpine Club sowie des Deutschen Alpenvereins, des Österreichischen Alpenvereins und des Alpenvereins Südtirol bieten alle Jahre wieder gebirgige Lektüre vom Feinsten.

«Es war so leicht.»

Die Französin Alice Damesme (1894–1974) und die US-Amerikanerin Miriam O’Brien Underhill (1899–1976) machen am 13. August 1932 die erste reine Frauenbesteigung des Matterhorns mit Auf- und Abstieg über den Hörnligrat. Im Buch «Give Me the Hills» schreibt Miriam O’Brien Underhill im Kapitel «Manless climbing» über den Erfolg, als «first women to climb the Matterhorn alone». Ihr Kommentar: «It was as easy as that.» Im Aufstieg hilft sie sogar einer männlichen, führerlosen Dreierseilschaft, die richtige Route zu finden. Und auf dem Gipfel erhalten die beiden Frauen Proviant von andern Alpinisten, denen vor Anstrengung und Höhenkoller der Appetit vergangen ist.

In einem Artikel für «The National Geographic Magazine» vom August 1934 hielt Miriam O’Brien Underhill den Grundsatz des männerlosen Bergsteigens fest: «Bergsteigen ohne Führer besteht grundsätzlich in der Übernahme der ganzen Verantwortung für die Tour, von der Planung bis zur Durchführung. Genau das macht Spass, und ich sah keinen Grund darin, dass dieses Vergnügen den Frauen vorbehalten sein sollte.» An Miriam O’Brien erinnern die 1927 von ihr miteröffnete Via Miriam in der Südwand des Torre Grande (2361 m) der Cinque Torri in den Ampezzaner Dolomiten. Sowie der Miriam Peak (3987 m) in der Wind River Range im US-Bundesstaat Wyoming; Miriam O‘Brien machte die Erstbesteigung 1939 zusammen mit ihrem Mann Robert Underhill, den sie 1932 geheiratet hatte. Nun ist in «The Alpine Journal 2023» ein Beitrag über Miriam O‘Brien zu lesen: Wie sie durch ihre Touren und ihre Schriften den Klettersport in den USA beeinflusste und wie sie auch mit Bergführern oft am scharfen Ende des Seils kletterte.

Überhaupt wartet das neue Jahrbuch des Alpine Club mit lesenswerten Artikeln zum Frauenalpinismus auf. Elaine Astill deckt erstmals die Namen der beiden Engländerinnen auf, die am 19. August 1822 «the First Female Crossing of the Col du Géant» machten; über diesen Pass (3365 m) führte einst die gängigste Verbindung zwischen den Montblanc-Ortschaften Chamonix und Courmayeur. Elizabeth Campell hielt die Überschreitung in genau beschrifteten Aquarellen fest; atemberaubend, wie die achtzehnjährige Tochter Thomasina im roten Rock oberhalb einer Spalte im Gletscherabbruch sich kniend und unangeseilt fortbewegen muss, während hinter ihr ein Führer der Mama die Hand gibt. Bisher ebenfalls namenlos war die Alpinistin, die am 31. August 1877 das Matterhorn bestieg; ihr Ehemann James Curtis Leman schrieb ins Führerbuch von Franz Biner nur «I was accompanied by my wife». Die Ehefrau Jane Margaret, geborene Hart, begleitete ihren Gatten auf mehreren grossen Hochtouren und machte am 28. August 1882 die erste Fauenbesteigung des Mont Pelvoux in den Dauphiné-Alpen. Und dann ist da noch die Genferin Erika Stagni, die die erste Wintertraversierung der Aiguilles du Diable im Februar 1938 unverletzt überlebte, während ihre beiden Begleiter sowie die Retter schlimme Erfrierungen davontrugen; John Wilkinson enthüllt unbekannte Details des Dramas. Tragisch das Ender der Niederländerin Line van den Berg, der zusammen mit der Britin Fay Manners die erste Frauenbegehung der höchst schwierigen Route Phantom Direct an den Grandes Jorasses gelang; am 19. Mai 2023 geriet sie mit ihren beiden Begleitern beim Abstieg vom Grosshorn in den Berner Alpen in eine Lawine.

Zurück ins Leben, zu andern Bergsteigerinnen. Das «Alpenvereinsjahrbuch Berg 2024» bringt unter dem Titel «Die Poesie der Kälte» ein Gespräch mit der Fotografin Monica Dalmasso (mehr zu ihr hier: https://bergliteratur.ch/eine-handvoll-bildbaende/). Als Innsbrucks kühnste Kletterin galt Cenzi Sild, die einst den mächtigen Uschba geschenkt erhielt. Buchstäblich von sich reden macht heute Barbara Babsi Vigl, mit gewagten Besteigungen in Patagonien und Texten dazu. Wir klettern weiter «hart an der Grenze», wie Andi Dick seine Alpinismus-Chronik überschreibt. Da gibt es sehr abenteuerreiche Unternehmungen wie diejenige von Nadia Royo Cremer, Caro North und Capucine Cotteaux, die zusammen mit fünf Wissenschaftlerinnen mit dem Segelboot in sechs stürmischen Wochen nach Grönland schippern, dort in einer Woche eine neue Route am Northern Sun Spire (1517 m) eröffnen und in vier Wochen zurück nach Festlandeuropa segeln. Es gäbe noch viel zu erzählen von «Berg 2024». In Zentrum stehen diesmal die Berchtesgadener Alpen; ihr König ist der Watzmann (2713 m), zu seiner Familie gehören die Frau und die sieben Kinder. Die Watzmann-Überschreitung ist keineswegs leicht, wird aber an Spitzentagen von 300 Leuten angegangen. Zwei junge Bergsteigerinnen werden so zitiert: «Is halt a Klassiker, muss man halt mal g’macht haben.» Wie das Matterhorn auch. Nur dauerte es am Cervino von der Erstbesteigung 1865 bis zum ersten All-Female-Ascent 67 Jahre.

Ed Douglas (Hrsg.): The Alpine Journal 2023. Volume 127. The Alpine Club, London 2023; in der Schweiz erhältlich bei www.pizbube.ch, Fr. 38.00.

Axel Klemmer (Hrsg.): BERG 2024. Alpenvereinsjahrbuch 148. Tyrolia Verlag, Innsbruck 2023, € 20,90.

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